Rede von Dr. Heinrich von Brentano, Bundesminister des Auswärtigen

Rede von Dr. Heinrich von Brentano, Bundesminister des Auswärtigen

... Exzellenzen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! ... Die heutige Veranstaltung gibt mir Gelegenheit, Ihnen, lieber Herr Hallstein, sehr herzlich zu gratulieren. Ihnen die guten Wünsche, die auch der Herr Bundespräsident und der Herr Bundeskanzler in ihren Telegrammen zum Ausdruck gebracht haben, gleichzeitig noch mal im Namen der Bundesregierung auszudrücken, in meinem eigenen Namen und im Namen aller meiner Mitarbeiter.

Meine Damen und Herren! Herr Oberbürgermeister Heusch hat uns einen Überblick über die europäische Entwicklung in den letzten 15 Jahren gegeben. Er hat Kritik geäußert und Zustimmung, und es hat mich lebhaft erinnert an die Jahre der Zusammenarbeit zwischen Ihnen, Herr Hallstein, und mir. Wir sind uns bald nach dem Zusammenbruch damals begegnet, als Sie in Frankfurt die Universität aufbauten und ich den Versuch unternahm, in kleinstem Raum des Hessenlandes das politische Leben neu zu gestalten. Damals wußten wir nicht, daß wir uns später dann so nahe begegneten. Wir haben dann hier in Bonn zusammen gearbeitet, Sie als Staatssekretär im Bundeskanzleramt und im Auswärtigen Amt, ich als Vorsitzender der Fraktion, Sie als Motor auf der Regierungsebene und ich als Motor im parlamentarischen Bereich im Europarat, und wo sonst noch. Und dann haben wir uns gefunden in einer engen Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt, die dann ihren Abschluß fand durch Ihre Berufung als Präsident der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Sie wissen, Herr Hallstein, wie schwer es mir und anderen fiel, Sie gehen zu lassen, und wie glücklich wir trotzdem waren, daß Sie gegangen sind, weil wir wußten, wie wichtig, wie verantwortungsvoll, wie entscheidend die Aufgabe war, die Sie übernahmen.

Und in diesen ganzen Jahren der Zusammenarbeit hat es niemals eine Spannung oder ein Mißverständnis zwischen uns gegeben. Höchstens eine Meinungsverschiedenheit darüber, was man noch mehr tun könnte. Ich freue mich, daß ich das heute aussprechen darf und daß ich mit großer Offenheit und großer Dankbarkeit Ihnen sagen darf, daß wir uns alle Rechenschaft geben über den entscheidenden Beitrag, den Sie auf dem Wege zum Zusammenschluß der europäischen Staaten geleistet haben.

Natürlich sind wir auch der Kritik ausgesetzt in der Vergangenheit und in der Zukunft. Einiges von der Kritik hat ja mein Vorredner vorweggenommen. Ich kann ihm leider nur sagen, er hat objektiv recht, aber er soll nicht an unserem guten Willen zweifeln. Und einiges an Kritik erleben wir auch heute noch. So wissen wir ja, daß Ihnen und mir und anderen auch der Vorwurf gemacht wird - ausgerechnet uns - wir würden zur Spaltung Europas beitragen.

Meine Damen und Herren! Ich glaube, es muß einmal ausgesprochen werden, diese Feststellung ist dumm oder böse, manchmal beides zusammen. Spalten kann man nichts, was nicht besteht und Ihre Arbeit und meine Arbeit und unsere Arbeit war darauf gerichtet, das gespaltene Europa zu vereinigen, und wir sind stolz darauf, daß wir es erreicht haben, und wir sind glücklich, wenn möglichst Viele sich an diesen Bemühungen beteiligen.

Ich lehne auch die Formulierung ab, daß das, was wir geschaffen haben, was wir fortzusetzen gedenken, in irgendeiner Weise geeignet sei, andere zu kränken oder im moralischen Sinne zu diskriminieren. Was kann eigentlich andere mehr diskriminieren als das Verharren im primitiven Nationalismus oder im Autarkie-Denken? Das ist eine Diskriminierung für den Nachbarn. Aber der Zusammenschluß des größeren Raumes, des politischen und wirtschaftlichen Raumes, ist keine Diskriminierung, ist ein Fortschritt, ist ein Weg nach vorne und kommt auch denen zugute, die im Augenblick noch nicht daran teilhaben, denen wir allerdings immer wieder sagen: ?Kommt zu uns und macht mit! Wir sind bereit, denn wir wissen, daß europäische Grenzen nicht da aufhören, wo die nationalen Grenzen der Sechs errichtet sind, und daß sie darüber hinausgehen!?

Das hier zu sagen über die Zusammenarbeit, unsere gemeinsame Arbeit, unsere gemeinsame Aufgabe, ist mir eine besondere Freude, eine besondere Genugtuung, und ich weiß, lieber Herr Hallstein, daß wir diese Arbeit fortsetzen werden, gleichgültig auf welcher Ebene und gleichgültig in welchem speziellen Auftrag und daß es nur eine Konkurrenz zwischen uns gibt, mehr zu tun. Jeder von uns kann etwas dazu beitragen. Nicht jeder, Herr Hallstein, kann Ihr Wissen mitbringen, aber jeder kann mitbringen, was wir beide haben, die Leidenschaft und den Glauben, die feste Überzeugung, daß diese Politik die richtige ist für unser Vaterland, für Europa und die Erhaltung des Friedens und der Freiheit in dieser Welt, diese höchsten Werte, die gefährdet sind, wenn wir nicht begreifen, daß es höchste Zeit ist, uns zusammenzuschließen, nicht um irgendwelche machtpolitischen Ziele zu verfolgen, sondern um gefährliche machtpolitische Ziele zu vereiteln.