Politische Wirkung

Die europapolitische Wirkung des Karlspreises

Völkerverständigung im Mittelpunkt

Vorbemerkungen

Zwischen 1950, dem Jahr der erstmaligen Verleihung, und heute ist der Internationale Karlspreis zu Aachen über 50 Mal vergeben worden. In der Abfolge dieser Preisverleihungen trat dabei das politische Profil der Auszeichnung immer stärker in den Vordergrund. Die Auswahl der Preisträger folgte dem Anspruch, die jeweils zeitgemäßen Impulse in den Prozess der europäischen Integration einzubringen. Insofern fungierte die Auszeichnung hier als europapolitische Mahnung, dort als Ermunterung und dann wieder als Anerkennung für vollbrachte Leistungen. Deshalb kann insgesamt festgestellt werden, dass die Fortschritte beim Aufbau eines geeinten Europas nicht zuletzt dem politischen und sozialen Engagement der Karlspreisträger zu verdanken sind. So verschieden dieses Engagement auch gelagert war, so gemeinsam ist den Ausgezeichneten, dass sie sich an maßgeblicher und verantwortlicher Stelle aktiv und mit Nachdruck für Europa und die europäische Integration eingesetzt haben.

Seit 1950 boten die Karlspreisverleihungen zudem immer wieder Gelegenheit, abseits der aktuellen Tagespolitik kritisch und grundsätzlich über die europäische Sache nachzudenken. Dies spiegelt sich auch in den Reden wider, die anlässlich der verschiedenen Karlspreisverleihungen gehalten wurden. Sie boten nicht zuletzt eine öffentliche Plattform für europäische Visionen, ohne die es die inzwischen erreichten Integrationsfortschritte nicht gegeben hätte.

In seinen Preisträgern spiegelt der Karlspreis die verschiedenen Etappen des europäischen Integrationsprozesses anschaulich wider. Die großen Architekten und Baumeister der heutigen Union wie Robert Schuman, Jean Monnet, Konrad Adenauer, Jacques Delors und Helmut Kohl- die wurden ebenso ausgezeichnet wie herausragende Persönlichkeiten, deren europapolitisches Engagement nachdrücklich ermuntert werden sollte. Zu diesen, im jeweiligen Jahr als "Hoffnungsträger" Geehrten, zählen beispielsweise Edward Heath, Konstantin Karamanlis, König Juan Carlos I. von Spanien, Gyula Horn, Václav Havel, Bronislaw Geremek und Tony Blair.

Preisverleihungen in den 50er Jahren:

Die Auszeichnung der Gründungsväter Europas

Über den ersten Karlspreisträger gab es keinerlei Meinungsverschiedenheiten im Direktorium der Karlspreisgesellschaft. Einmütig wählte es 1950 den Begründer der Paneuropabewegung Richard Graf Coudenhove-Kalergi in Würdigung seines Lebenswerkes zum Preisträger. In seiner Rede anlässlich der Karlspreisverleihung am 18. Mai 1950 rief er zur Erneuerung des Karolingerreiches auf demokratischer, föderalistischer und sozialer Grundlage auf. Als Namen für den von ihm angeregten Bundesstaat zwischen Frankreich, Westdeutschland, Italien und den Benelux-Staaten schlug er "Union Charlemagne" vor.

Im Jahre 1951 erhielt die Auszeichnung der erste Rektor des 1949 gegründeten Europakollegs in Brügge, Professor Hendrik Brugmans, der gleichzeitig Präsident des Europäischen Föderalistenverbandes war. Der Wissenschaftler und Politiker trat für ein supranationales und föderativ organisiertes Europa ein - Vorstellungen, die durch den Schuman-Plan schon aufgegriffen worden waren. Mit dieser Preisverleihung lenkte das Direktorium den Blick auch auf die Jugend, die Zukunft Europas, denn das von Brugmans geleitete Europakolleg bildete Nachwuchs insbesondere für die im Aufbau befindlichen europäischen Institutionen aus.

Die Resonanz der ersten Karlspreisverleihungen und das positive Presseecho spornten das Karlspreis-Direktorium an, noch entschlossener am europäischen Einigungsprozess teilzunehmen. Die Preisverleihung an den italienischen Ministerpräsidenten Alcide de Gasperi im Jahr 1952 verstärkte die internationale Aufmerksamkeit entscheidend, da das Direktorium erstmals einen hochrangigen aktiven Politiker ehrte. Der Termin für die Auszeichnung wurde auf den Herbst verschoben und war mit de Gasperis Aufenthalt in Bonn verbunden - dem ersten Besuch eines ausländischen Staatsmannes in der noch jungen Bundesrepublik Deutschland. Die Preisverleihung unterstrich die freundschaftlichen Beziehungen beider Länder und ihr gemeinsames Engagement für Europa. Mit Alcide de Gasperi erhielt der Karlspreis einen neuen Akzent. Die Auszeichnung eines führenden Politikers, der sich für die Einigung Europas einsetzte, entwickelte sich zu einem Muster, dem das Karlspreis-Direktorium weitgehend treu blieb. Die Gründe liegen auf der Hand: Staatliche Repräsentanten, Minister und Regierungschefs verfügen durch ihre exponierten Ämter bis heute über die nachhaltigsten Einflussmöglichkeiten auf den europäischen Integrationsprozess. Die Karlspreisverleihung bestärkte sie darin, diese Möglichkeiten zu nutzen.

Nachdem im Jahr 1953 der Franzose Jean Monnet als Architekt des Schuman-Planes und damit der Europäischen Gemeinschaft den Preis erhalten hatte und nunmehr vier ausländische Preisträger vom Direktorium ausgezeichnet worden waren, folgte mit Bundeskanzler Konrad Adenauer 1954 der erste Deutsche. Der Bundeskanzler nutzte die Preisverleihung, um für die deutsch-französische Verständigung und den europäischen Einigungsprozess zu werben. Auch in der Folge richtete das Karlspreis-Direktorium sein Augenmerk immer wieder auf die konkreten Fortschritte der europäischen Einigungsbemühungen. Als vormaliger belgischer Außenminister hatte der Preisträger des Jahres 1957, NATO-Generalsekretär Paul Henri Spaak, maßgeblich am Zustandekommen der Römischen Verträge mitgewirkt, die 1958 zur Errichtung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft führten. 1958 erhielt mit Robert Schuman der erste Präsident der Europäischen Versammlung, dem Vorläufer des Europäischen Parlaments, den Karlspreis.

Schon früh blickte das Karlspreis-Direktorium über die Gemeinschaft der sechs Gründungsmitglieder - Frankreich, Deutschland, Italien und die Benelux-Staaten - hinaus. 1955 erhielt der vormalige britische Premierminister Winston Churchill die Auszeichnung. Er hatte schon in seiner berühmten Züricher Rede von 1946 den Begriff der "Vereinigten Staaten von Europa" geprägt. Um in Europa einen dauerhaften Frieden zu sichern, sollte sich nach seinen Vorstellungen der Kontinent zusammenschließen, und Deutschland und Frankreich sollten miteinander verbunden werden. Churchill, der im April 1955 aus gesundheitlichen Gründen als britischer Premierminister zurücktrat, konnte erst ein Jahr später den Karlspreis in Aachen entgegennehmen.

Nachdem 1957 mit dem damaligen NATO-Generalsekretär Paul Henri Spaak zugleich auch die atlantischen Beziehungen gewürdigt worden waren, entschied sich das Direktorium im Jahre 1959 für den ehemaligen amerikanischen Außenminister George C. Marshall. Damit würdigte es seinen Beitrag für den wirtschaftlichen Wiederaufbau in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Rückblick auf die 50er Jahre erweist sich die Stiftung des Karlspreises als Initiative mit visionärem Weitblick. Viele der führenden europäischen Politiker wurden in Aachen für ihre Verdienste um die europäische Einigung geehrt. Am Ende des ersten Jahrzehnts seiner Existenz hatte die Auszeichnung ein hohes politisches Gewicht und internationales Prestige gewonnen.

Preisverleihungen in den 60er, 70er und 80er Jahren:

Krise und Aufschwung des Integrationsprozesses

Mit der Preisverleihung an den Präsidenten des luxemburgischen Abgeordnetenhauses, Joseph Bech, würdigte das Karlspreis-Direktorium 1960 auch die insgesamt außerordentlich aktive Rolle, die die Politik des Großherzogtums im europäischen Integrationsprozess spielte. Im folgenden Jahr wurde mit Walter Hallstein der erste Präsident der Europäischen Kommission ausgezeichnet.

Im Jahr 1962 konnte der Karlspreis zum ersten Mal in seiner Geschichte nicht verliehen werden, weil es dem Direktorium nicht möglich war, sich auf einen Kandidaten zu einigen. Bisher ist dies aus unterschiedlichen Gründen insgesamt neun Mal vorgekommen, wobei die Stagnation des Integrationsprozesses in den 60er und 70er Jahren die Kandidatensuche erschwerte. Innerhalb des Direktoriums herrschte während dieser Phase Einigkeit darüber, dass die unzureichenden Fortschritte im europäischen Einigungsprozess nicht durch Verlegenheitskandidaten kaschiert werden sollten. Diese Haltung sicherte zwar die Substanz der Auszeichnung, schwächte aber gleichzeitig ihre Ausstrahlung. Eine als Kritik am Tempo der Einigungsbemühungen gemeinte Nicht-Vergabe erzielte eine weitaus geringere Signalwirkung im öffentlichen Bewusstsein als die Verleihung des Karlspreises.

Mit der Preisverleihung von 1963 fand das Direktorium einen Ausweg aus diesem Dilemma. Der damals noch junge Edward Heath leitete die britische Delegation bei den Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Zwei Tage nachdem das britische Gesuch am Veto Frankreichs gescheitert war - ein herber Rückschlag für die europäische Einigung -, entschied sich das Karlspreis-Direktorium für Edward Heath. Erstmals vergab es damit die Auszeichnung nicht als Dank für erfolgreiche Bemühungen um die europäische Einigung, sondern als ein in die Zukunft gerichtetes Signal zugunsten der Integration Großbritanniens, die schließlich 1972 vollzogen werden sollte. Ähnlichen Charakter hatte die Ehrung des dänischen Ministerpräsidenten Jens Otto Krag (1966), der sich ebenfalls bemühte, sein Land in die Europäische Gemeinschaft zu führen. Für ihre Verdienste um die europäische Integration wurden 1964 der Präsident der Italienischen Republik, Antonio Segni, und drei Jahre später der niederländische Außenminister Joseph Luns mit dem Karlspreis ausgezeichnet.

Neue Wege beschritt das Direktorium im Jahre 1969, als es die Kommission der Europäischen Gemeinschaften und damit erstmals keine Person, sondern eine Institution ehrte. Damit wurde die wesentliche Rolle der Europäischen Kommission für Fortschritte bei der europäischen Einigung herausgehoben.

Neue Akzente setzte das Karlspreis-Direktorium mit der Preisverleihung von 1973: Durch die Auszeichnung des spanischen Philosophen, Soziologen und Kulturhistorikers Don Salvador de Madariaga wich es von der mittlerweile etablierten Praxis ab, den Preis Politikern oder Institutionen zu verleihen. Erstmals zeichnete das Direktorium eine Persönlichkeit eines europäischen Landes aus, das - im Falle Spaniens aufgrund der Franco-Diktatur - noch nicht zum Kreis der Kandidaten für den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft gehörte. Es würdigte damit zugleich das Lebenswerk eines bedeutenden Vertreters der westeuropäischen Kultur, seine zukunftsweisenden Gedanken zur europäischen Einheit und sein Eintreten für Freiheit.

Nachdem das Karlspreis-Direktorium den Preis in zwei aufeinanderfolgenden Jahren nicht vergeben hatte und damit auch das "Silberne Jubiläum" des Karlspreises keine gebührende Würdigung fand, muss die Verleihung an Leo Tindemans im Jahr 1976 besondere Erwähnung finden. Der belgische Ministerpräsident war im Dezember 1974 von den Staats- und Regierungschefs beauftragt worden, Reformvorschläge für eine Entwicklung der Gemeinschaft zur Politischen Union auszuarbeiten. Der Ende 1975 vorgelegte Tindemans-Bericht weckte zwar neue Hoffnungen auf integrationsfördernde Initiativen, blieb jedoch ohne unmittelbare Folgen. Das Direktorium unterstützte mit seiner Preisverleihung die Tindemans-Initiative und mahnte damit weitere Fortschritte in Richtung der erstrebten Europäischen Union an.

In den 70er Jahren griff das Direktorium auch auf schon bewährte Verleihungsstrategien zurück. Die Auszeichnung François Seydoux de Clausonnes (1970) betonte nachdrücklich die Bedeutung der deutsch-französischen Freundschaft als Kern der europäischen Einigungsbemühungen. Die Würdigung von Roy Jenkins (1972) unterstrich ein weiteres Mal die Haltung des Direktoriums zu einer britischen Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft. Mit der Ehrung des Bundespräsidenten Walter Scheel (1977) fand die deutsche Europapolitik Anerkennung.

Wichtige Impulse gingen von den Preisverleihungen an den griechischen Ministerpräsidenten Konstantin Karamanlis (1978) und den spanischen König Juan Carlos I. (1982) aus. Die jungen europäischen Demokratien in Griechenland und Spanien sollten ermuntert werden, die demokratischen Kräfte zu stärken und näher an die Europäische Gemeinschaft heranzurücken. Die Entscheidungen des Direktoriums erwiesen sich als zukunftsweisend, denn beide jungen Demokratien fanden schon bald Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft.

In den Jahren 1979 und 1981 würdigte das Direktorium mit Emilio Colombo und Simone Veil die Präsidenten des Europäischen Parlaments für ihr jahrzehntelanges europapolitisches Engagement. Mit diesen beiden aufeinanderfolgenden Auszeichnungen stärkte das Direktorium auch die wichtige Rolle dieser demokratischen, von den Bürgern Europas gewählten Institution. Mit Simone Veil stand erstmals eine Frau an der Spitze der europäischen Volksvertretung. Sie erhielt auch als erste Frau den Karlspreis.

Im Jahr 1984 ehrte das Direktorium den deutschen Bundespräsidenten Karl Carstens für seine europapolitischen Verdienste. Zwei Jahre später traf es eine in der Geschichte des Karlspreises ungewöhnliche Entscheidung: Es zeichnete das Luxemburgische Volk aus. 1987 würdigte es mit der Karlspreisverleihung an Henry Kissinger auch die essentielle Rolle der Vereinigten Staaten für die Sicherheit auf dem alten Kontinent.

Für die 80er Jahre ist die Preisverleihung an Staatspräsident François Mitterrand und Bundeskanzler Helmut Kohl im Jahr 1988 hervorzuheben. Erstmals in der Geschichte des Karlspreises waren ein Franzose und ein Deutscher gemeinsam Preisträger. 25 Jahre nach der Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages wurde hier ihr Beitrag zur Festigung der Partnerschaft zwischen beiden Ländern gewürdigt. Vor allem aber zeichnete das Direktorium mit Präsident Mitterand und Bundeskanzler Kohl diejenigen Politiker aus, die gemeinsam seit Mitte der 80er Jahre dem Integrationsprozess neue Impulse verliehen hatten.

Im Jahre 1989 erhielt Frère Roger, der Gründer der Communauté de Taizé, den Karlspreis. Der Initiator der außerordentlich erfolgreichen ökumenischen Gemeinschaft hatte sich die Versöhnung der Christen zum Ziel gesetzt. Im Mittelpunkt seines Wirkens stand die Kinder- und Jugendarbeit. Mit der Auszeichnung eines Geistlichen - zumal in einer Umbruchzeit von weltpolitischer Bedeutung - bereicherte das Karlspreis-Direkorium die eigene Tradition um einen neuen Akzent.

Die Preisverleihungen der 90er Jahre:

Aufbruch zu neuen Grenzen

Der Zusammenbruch der Sowjetunion, die Umbrüche in Osteuropa und die deutsche Wiedervereinigung eröffneten die historische Chance auf ein geeintes Gesamteuropa. Ein dauerhafter Frieden auf dem alten Kontinent schien greifbar. Mit der Auszeichnung des ungarischen Außenministers Gyula Horn (1990), des tschechischen Staatspräsidenten Václav Havel (1991) und des polnischen Außenministers Bronislaw Geremek (1998) erhielten in den 90er Jahren drei herausragende Persönlichkeiten ehemaliger Ostblock-Staaten den Karlspreis. Die Ehrungen sollten ein positives Signal setzen und die Preisträger zur Fortführung von notwendigen Reformen ermutigen, um so ihr Land in die Europäische Gemeinschaft führen zu können.

Mit der Karlspreisverleihung an Jacques Delors im Jahr 1992 ehrte das Karlspreis-Direktorium einen der bedeutendsten Architekten Europas der 80er und 90er Jahre. Sein Name steht für die Überwindung der europapolitischen Stagnation, für neue Impulse und für eine große Überzeugungskraft. Er ist eng verbunden mit der Errichtung und Vollendung des gemeinsamen Binnenmarktes (1992) und mit dem Maastrichter Vertrag über die Europäische Union. Während seiner Amtszeit erweiterte sich die Europäische Gemeinschaft um fünf Mitgliedsstaaten.

Mit dem spanischen Ministerpräsidenten Felipe González Márquez (1993), dem österreichischen Bundeskanzler Franz Vranitzky (1995), Königin Beatrix der Niederlande (1996) und dem deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog (1997) ehrte das Direktorium politische Repräsentanten für ihre Verdienste um die Einigung des Kontinents. In diesen Preisträgern drückte sich die grundlegende und anspruchsvollste Zielsetzung des Preises, die Verständigung zwischen den Völkern, aus.

Im Jahre 1994 erhielt die norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland für ihr europapolitsches Engagement zu einem Zeitpunkt den Karlspreis, als die Beitrittsverhandlungen ihres Landes zur Europäischen Union in der entscheidenden Phase waren. Trotz dieses Signales entschied sich die norwegische Bevölkerung gegen den EU-Beitritt. Mit der Preisverleihung an den britischen Premierminister Tony Blair im Jahre 1999 - nach knapp zweijähriger Amtszeit - würdigte das Direktorium seine Bemühungen, Großbritannien wieder näher an Europa heranzuführen. Blair hatte für sein Land die Sozialcharta des EU-Vertrages unterzeichnet und eine Stärkung der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik angeregt. Auch war der Preis ein Zeichen der Anerkennung seines persönlichen Beitrages im nordirischen Friedensprozess.

Das neue Jahrhundert

Mit der Auszeichnung des amerikanischen Präsidenten Bill Clinton im Jubiläumsjahr 2000 wurde 50 Jahre nach der ersten Verleihung des Internationalen Karlspreises der Repräsentant eines Volkes gewürdigt, das den freien Völkern Europas über fünf Jahrzehnte hinweg ein stets verlässlicher Partner war.

Durch die Ehrung eines herausragenden Vertreters der europäischen Literatur, des ungarischen Schriftstellers und Soziologen György Konrád, lenkte das Direktorium im darauffolgenden Jahr 2001 den Blick auf den wertvollen Beitrag, den die Kultur und die Kulturschaffenden für die Integration unseres Kontinents leisten.

Nachdem im Jahre 2002 mit dem EURO, getragen durch die Europäische Zentralbank, erstmals ein Objekt mit dem Karlspreis ausgezeichnet worden war, setzte das Direktorium mit seinen nachfolgenden Entscheidungen für den Präsidenten des Konvents, Valéry Giscard d'Estaing (2003), und für den Präsidenten des Europäischen Parlaments, Pat Cox (2004), weithin sichtbare Akzente für eine Vertiefung des Integrationsprozesses und für eine Stärkung des parlamentarischen, demokratischen Elements der Union.

Die Entwicklung zum umfassenden Zusammenschluss der europäischen Völkerfamilie ist untrennbar mit der Persönlichkeit und dem Lebenswerk von Papst Johannes Paul II. verbunden. Sein über 25-jähriges Pontifikat wird als ein Zeitraum in die Geschichte eingehen, in dem das Fundament für eine dauerhafte Friedens- und Freiheitsordnung und für Stabilität und Wohlstand für zukünftige Generationen auf dem ganzen Kontinent geschaffen wurde. In Würdigung eines herausragenden Lebenswerkes im Dienste europäischer Verständigung und Gemeinschaftsarbeit, im Dienste der Humanität und des Weltfriedens war es den Karlspreis-Verantwortlichen daher eine Ehre, S.H. Papst Johannes Paul II. mit einem Außerordentlichen Karlspreis auszeichnen zu dürfen. Die Preisverleihung erfolgte erstmalig und in außergewöhnlicher Weise am 24. März 2004 in Rom.

Als ruheloser Mentor des Einigungsprozesses, der die klassischen Werte und Maßstäbe, die Europa ausmachen, verkörpert, wurde 2005 das italienische Staatsoberhaupt Carlo Azeglio Ciampi geehrt, dem mit dem Premierminister des Großherzogtums Luxemburg, Jean-Claude Juncker, 2006 ein herausragender Europäer folgte, der als Vermittler, Brückenbauer und entscheidender Akteur an nahezu allen Integrationsfortschritten der vergangenen zwei Jahrzehnte beteiligt gewesen ist und dem es wie nur wenigen anderen gelingt, die Menschen für das Einigungswerk zu begeistern.

Als Hoher Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik steht der Karlspreisträger 2007 Javier Solana Madariaga für die Wahrung der gemeinsamen Werte, der Unabhängigkeit und der Unversehrtheit der EU ebenso wie für den Anspruch Europas, einen substanziellen Beitrag zu einer sichereren und gerechteren Welt zu leisten. Mit der ersten Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Angela Merkel, würdigte das Direktorium ein Jahr darauf eine große Europäerin, die mit Mut und Tatkraft, Zielstrebigkeit und Verhandlungsgeschick einen maßgeblichen Beitrag zur Überwindung der Krise der EU und zum Fortschreiten der Integration geleistet hat.

Die Ehrung des italienischen Historikers und Gründers der Gemeinschaft von Sant’Egidio, Andrea Riccardi, rückte 2009 das zivilgesellschaftliche Engagement für eine friedlichere und gerechtere Welt in den Fokus des Karlspreises, bevor 2010 mit dem Premierminister der Republik Polen, Donald Tusk, ein herausragender Streiter für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte gewürdigt wurde, ein polnischer Patriot und großer Europäer, ein früher Mitstreiter aus der Solidarnosc-Bewegung und ein Regierungschef, der in besonderer Weise für ein weltoffenes Polen im Herzen Europas steht.

In Zeiten, die von großer Unsicherheit und der Sorge um den inneren Zusammenhalt der Europäischen Union geprägt waren, setzte der Karlspreis mit der Auszeichnung des EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet im Jahr 2011, des Bundesministers der Finanzen Wolfgang Schäuble 2012 und des Präsidenten des Europäischen Rates Herman Van Rompuy (2014) wichtige Akzente für eine Vertiefung der Integration hin zu einer besseren Abstimmung der Wirtschafts-, Haushalts- und Finanzpolitik, hin zu einer Politischen Union. Die Präsidentin der Republik Litauen Dalia Grybauskaite wurde 2013 für ihre besonderen Verdienste um den Aufbruch im Nordosten der EU als erste Persönlichkeit aus den baltischen Staaten gewürdigt.

2015 wurde mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments Martin Schulz ein bedeutender Vordenker des Vereinten Europas geehrt, der sich um die Stärkung des Parlaments, des Parlamentarismus und der demokratischen Legitimation in der EU nachhaltige Verdienste erworben hat. 2016 schließlich durfte das Karlspreisdirektorium mit S.H. Papst Franziskus eine herausragende moralische Autorität auszeichnen, den Papst „vom anderen Ende der Welt“, der in einer Zeit, in der ein Scheitern der Union nicht mehr undenkbar scheint, Millionen Europäern Orientierung dafür gibt, was die EU im Innersten zusammenhält und was den Kern der europäischen Idee ausmacht.

Mit dem Historiker und Publizisten Timothy Garton Ash wurde 2017 ein herausragender englischer Wissenschaftler geehrt, der mit Leidenschaft und intellektueller Schärfe den Weg der EU begleitet und kommentiert und der der Gemeinschaft auch gedankliche Tiefe gibt.

Ein Jahr darauf nahm der Präsident der Französischen Republik, Emmanuel Macron, den Internationalen Karlspreis entgegen – ein leidenschaftlicher und mutiger Vordenker für die Erneuerung des europäischen Traums, dessen Begeisterung ansteckt und der Europa inspiriert hat.

Mit der Verleihung des Internationalen Karlspreises an den Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, setzte das Direktorium 2019 den immer weiter um sich greifenden Tendenzen zu autoritärer Politik, Abschottung, Populismus und Nationalismus ein entschiedenes Bekenntnis zu Pluralismus und Dialog, zu offenen Gesellschaften und internationaler Kooperation entgegen; ein Bekenntnis zum Multilateralismus auf der Grundlage unserer gemeinsamen Werte und Überzeugungen.

Aufgrund der Corona-Pandemie konnte der Karlspreis für das Jahr 2020 erst im darauffolgenden Jahr 2021 verliehen werden. Mit dem rumänischen Präsidenten Klaus Iohannis wurde eine Persönlichkeit geehrt, die wie nur wenige andere für den Kampf gegen Korruption und Klientelwirtschaft steht und der standhaft, mit unermüdlichem Einsatz und klarem Kompass die große Mehrheit der rumänischen Bevölkerung für eine proeuropäische, rechtsstaatliche und demokratische Politik gewinnen konnte.
Auch diese Entscheidung des Karlspreisdirektoriums knüpfte an die Tradition des Aachener Bürgerpreises an, dessen Ziel der Karlspreis-Initiator, Kurt Pfeiffer, wie folgt charakterisiert hat:

„Der Karlspreis wirkt in die Zukunft, er birgt gleichsam eine Verpflichtung in sich, aber eine Verpflichtung von höchstem ethischem Gehalt. Sie zielt auf den nicht erzwungenen, freiwilligen Zusammenschluss der europäischen Völker, um in neu gewonnener Stärke die höchsten irdischen Güter – Freiheit, Menschlichkeit und Frieden – zu verteidigen und die Zukunft der Kinder und Enkel zu sichern.“

Im Zentrum der Karlspreisidee steht somit das Ziel der Völkerverständigung. Diese Botschaft ist seit 1949 unverändert weitergegeben worden und bildet das entscheidende Kriterium für die Auswahl eines Preisträgers. Völkerverständigung und Integration sind das Fundament für Frieden, Freiheit und Wohlstand in Europa. Dazu gibt es keine Alternative.