Die traditionelle Karlspreisverleihung am Himmelfahrtstag ist auf die zweite Jahreshälfte vertagt worden. Was hätte man am 13. Mai denn eigentlich gefeiert?
Sicher, den aktuellen Karlspreisträger Klaus Iohannis, der unbestreitbar ein überzeugender Kämpfer für die europäische Idee ist, ein wichtiger Brückenbauer zwischen Ost und West, ein integrer Politiker, der die Werte der europäischen Gesellschaft gegen Nationalismus, Korruption und brüchige Rechtsstaatlichkeit stärkt.
Und sonst?
In der Corona-Krise hat sich die EU nicht mit Ruhm bekleckert: Impfstoff-Beschaffung, -Verteilung und -Produktion, 3 Faktoren, die für die Bürger*innen wichtig waren, sind eher stümperhaft gemanaged worden. Selbst die Verträge mit den Impfstoff-Herstellern waren nicht professionell. Hinzu kam die fast schon traditionelle Uneinigkeit der Mitgliedstaaten zu einheitlichem Vorgehen und Knauserigkeit bei den Preisverhandlungen mit den Herstellern, obwohl die USA, Israel oder selbst die Briten Blaupausen für das Verfahren geboten hatten. Inzwischen machen Länder Fortschritte bei den Impfungen, jetzt hapert es mit dem EU-Impfpass.
Der europäische Wiederaufbau-Fonds zur Pandemiebekämpfung, im Sommer 2020 als historische Gemeinschaftsaktion gefeiert, unterschrieben erst im Februar 2021, hakte an osteuropäischen Widerständen zur Rechtsstaatlichkeit, dann zwischendurch auch noch an der Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dem die Beteiligung des Bundestages bei der Ausgestaltung des Fonds fehlte.
Wenigstens gab es ein Aktionsprogramm für die Gesundheit (EU4Health), Fördermittel zur Erforschung der Corona-Varianten, Unterstützung für den Erhalt von Arbeitsplätzen (SURE) und auch noch die Institutionalisierung eines europäischen Innovationsrates.
Die Neujustierung des Verhältnisses zur amerikanischen Regierung, die Neuaufnahme der Beziehungen zur Türkei hätte man jetzt sicher noch nicht feiern können.
Wichtig und ein Grund zum Feiern war allein die Festlegung auf Klimaziele und eine gemeinsame Klimapolitik bis 2050.
Welche Botschaft also hätte der Karlspreis jetzt vermitteln wollen?
Seit seiner Gründung will der Karlspreis die europäische Zusammenarbeit, die Integration der Völker und Staaten fördern. Er übt immer aber auch Kritik, mahnt und zeigt auf unerledigte Zukunftsaufgaben.
Vermutlich wird es in naher Zukunft in der EU keine politischen Mehrheiten für weitreichende Reformen und Vertragsänderungen geben. Deshalb ist Konsolidierung angesagt, die Bewältigung der Krise und der wichtigsten politischen Aufgabenfelder, Außen- und Handelsbeziehungen zu den USA und China, Anpassung der Realität an die Brexit-Verträge, Klärung des Nord-Mazedonien-Konflikts und erkennbare Umstellung des Green Deals. Vor allem aber bedarf es der Demonstration von Einigkeit. Der Bürger muss sich wieder besser mit der EU identifizieren können.
Die Zukunftskonferenz, die jetzt beginnt, initiiert unter anderem vom Karlspreisträger E. Macron, will institutionelle Reformen thematisieren, um Demokratiedefizite zu beheben und die EU handlungsfähiger zu machen. In diesem Prozess sollen sich die Bürger einbringen, schriftlich, digital und in Präsenzveranstaltungen Vorschläge zur Reform unterbreiten, insbesondere zur Stärkung des Parlaments, zur Bildung einer zweiten Kammer, zur Definition von Rechtsstaatlichkeit; es soll um transnationale Listen bei Wahlen, die Rolle von Spitzenkandidaten, Transparenzregister gehen. Es geht um die Wirtschafts- und Finanzpolitik, die Stärkung der Sozialpolitik, Europas Rolle in der Welt. Europa findet seine Position zwischen den Großmächten nicht, auch weil eine gemeinsame Außenpolitik nicht existiert und die nationalen Interessen im Handel Solidaritäts- und Gemeinschaftsinteressen überlagern. Eine geopolitische Rolle spielt Europa derzeit nicht.
Natürlich sind bei der Zukunftskonferenz auch die Vorschläge Macrons aus seiner Sorbonne-Rede vom September 2017 auf der Tagesordnung: das Verhältnis von Ost- zu Westeuropa, eine gemeinsame Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, Partnerschaft zu den Nachbarkontinenten, Zivilschutz, Cyber-Abwehr und Bildung, Bildung und nochmals Bildung.
Wer die Themen liest, erinnert sich auch an die Vorhaben der Bundesrepublik während ihrer Ratspräsidentschaft im 2. Halbjahr 2020. Geworden ist daraus nicht viel, erst recht nicht aus einer deutschen Antwort auf Frankreichs Vorschläge. Und Corona allein kann dafür keine Entschuldigung sein.
Die EU braucht nach Jahren der Krise und dem Enttäuschen in der Pandemie neuen Mut und neue Zielvorgaben. Der Karlspreis will dazu beitragen.
Dr. Jürgen Linden
Vorsitzender des Karlspreisdirektoriums