Rede von Generalsekretär António Guterres

Rede des Generalsekretärs der Vereinten Nationen

António Guterres

[Original ES] Eure Majestät,
meine Damen und Herren,
zunächst möchte ich Seiner Majestät König Felipe VI. von Spanien für seine heutige Anwesenheit und seine warmen Worte danken, die mir viel bedeuten.
Ich finde kein besseres Zeichen für das gemeinsame Schicksal Spaniens und Portugals als Mitglieder der Europäischen Union.
Die Schicksale unserer Länder sind parallel verlaufen und kreuzten sich einst auf hoher See.
In den 1970er Jahren bekannten sich Spanien und Portugal zu europäischen Werten wie Demokratie und Pluralismus und traten gemeinsam der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bei.
Seither ist aus geschwisterlicher Rivalität eine dauerhafte Partnerschaft geworden, zum Nutzen von ganz Europa.
[Original DE] Meine sehr verehrten Damen und Herren,
den Karlspreis 2019 zu erhalten, ist eine einzigartige Ehre.
Ich bin der Stadt Aachen, die unsere europäische Geschichte und unser europäisches Erbe symbolisiert, sehr dankbar für diese Auszeichnung. Dankeschön.
[Original EN] Für mich als bekennenden Europäer und Generalsekretär der Vereinten Nationen hat dieser Preis ganz besondere Bedeutung.
Aber ich weiß, dass Sie über mich dem Engagement und der Dienst- und Opferbereitschaft der Frauen und Männer der Vereinten Nationen Tribut zollen.
Als Förderin der Konsolidierung der beiden größten Friedensprojekte unserer Zeit – der Vereinten Nationen und der Europäischen Union – hat Ihre Gesellschaft zudem große Weitsicht bewiesen, was mich – an diesem Scheideweg unserer Geschichte – mit Demut erfüllt.
Ich weiß, dass diese ambitionierten Projekte für unsere Völker einen beispiellosen Nutzen erbracht haben.
Ja, wir die Völker – wie die VN-Charta sich selbst nennt – haben unbestreitbar Millionen von der Armut befreit und in Krisengebieten Frieden geschaffen.
Und ja, die Völker der Europäischen Union – der Trägerin des Friedensnobelpreises 2012 – sind ein unverzichtbarer Teil davon.
Die Europäische Union hat eine beispielhafte Partnerschaft mit den Vereinten Nationen entwickelt.
Aber ich wäre verblendet, wenn ich nicht einige Rückschläge, geschweige denn eine weitreichende Angst, zur Kenntnis nähme.
Dies sollte in unser europäisches Gewissen dringen, in dem sich ein unverwechselbares Verständnis von Wissenschaft, Freiheit und Geschichte niederschlägt. Denn schließlich sind sowohl die Vereinten Nationen als auch die Europäische Union ein Vermächtnis der Aufklärung und ihrer Werte, die nach meiner Meinung den bedeutendsten Beitrag Europas zur Weltzivilisation darstellen.
Diese Werte haben mein gesamtes Leben und meine politische Überzeugung geprägt.
Ich wurde in Lissabon zum Ingenieur ausgebildet und räume deshalb der Wissenschaft einen hohen Stellenwert als fruchtbarem Boden für die Verwirklichung des Fortschrittsideals ein, auch wenn sie zuweilen Gefahr läuft, die Menschheit von der Natur zu entfernen.
Als jemand, der unter der Diktatur Salazars aufwuchs, wurde ich politisch mündig, als ich den wahren Wert der Freiheit erlebte.
In meiner zehnjährigen Amtszeit als Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen sah ich die Wunden von Vertreibung und Entwurzelung.
Und die Geschichte hat meine tiefe Überzeugung verfestigt, dass derartige Tragödien nur durch Konfliktprävention und Entwicklung im Wege internationaler Zusammenarbeit vermieden werden können.
Die Politik sollte immer auf die Philosophie hören.
Es bedurfte zweier Weltkonflikte im Herzen Europas, um die Worte Immanuel Kants in Taten umzusetzen.
Der Genuss von Freiheit und Menschenrechten konnte nur in einer internationalen regelbasierten Ordnung auf der langen Reise „zum ewigen Frieden“ bewahrt werden.
Alsbald folgte auf die Charta der Vereinten Nationen der Vertrag von Rom, mit dem Länder und Völker Europas verbunden werden sollten.
Europa war der Name einer Krise, aus der endlich ein Aufbau wurde.
Daraus erwuchs für einen jungen portugiesischen Ingenieur die Inspiration.
Meine Damen und Herren,
der Ingenieur plant, das Schicksal lacht.
Ich stehe hier als ein europäischer Generalsekretär der Vereinten Nationen.
Zugleich werden die Nachkriegsinstitutionen und die ihnen zugrunde liegenden Werte untergraben und auf die Probe gestellt wie nie zuvor.
Die bittere Wahrheit ist, dass wir gemeinsam zu viele Dinge für allzu selbstverständlich gehalten haben.
Die Geschichte rächt sich nun an denen, die ihr Ende prophezeiten.
Konflikte werden komplexer und sind mehr als je zuvor miteinander verknüpft. Sie erzeugen abscheuliche Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht. Und wir erleben, dass die Agenda der Menschenrechte gegenüber der Agenda der nationalstaatlichen Souveränität an Boden verloren hat.
Menschen werden zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen, und zwar in einem Maße, wie wir es seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt haben – und das Tor zur Zuflucht wird ihnen verschlossen, und zwar hier, in Europa.
Die Grundsätze der Demokratie sind unter Beschuss, und die Rechtsstaatlichkeit wird untergraben.
Die Ungleichheit nimmt zu. Hassrede, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit schüren über die sozialen Medien den Terrorismus.
Unsere Generation könnte sogar mit den moralischen Implikationen eines autonomen Waffensystems konfrontiert werden, das eigenständig Menschen zur Zielscheibe machen und angreifen könnte. Deshalb habe ich mich so vehement für ihr Verbot ausgesprochen.
All dies stellt die Werte der Aufklärung auf mehrfache Weise in Frage.
Meine Damen und Herren,
in dieser Zeit großer Angst und weltpolitischer Unordnung klopfen gleich drei beispiellose Herausforderungen an unsere Tür: der Klimawandel, Demografie und Migration und das digitale Zeitalter.
Diese Herausforderungen verstärken die Gefahr der Konfrontation.
Und just in dem Augenblick, in dem wir ihn am meisten brauchen und er niemals so geeignet war, diesen Herausforderungen zu begegnen, steht auch der Multilateralismus unter Beschuss.
In diesen schwierigen Zeiten hallen in mir die Worte nach, die Albert Camus 1946 sprach:
„(…) Nous ne pouvons pas échapper à l’histoire, puisque nous y sommes plongés jusqu’au cou. Mais on peut prétendre à lutter dans l’histoire pour préserver cette part de l’homme qui ne lui appartient pas.“ [„Wir können der Geschichte nicht entfliehen, weil wir mitten in ihr stecken. Aber wir können in ihr kämpfen, um den Teil des Menschen zu bewahren, der ihr nicht gehört.“]
Als Generalsekretär der Vereinten Nationen habe ich die Notwendigkeit eines starken und geeinten Europas nie so klar und deutlich gespürt wie jetzt, und das ist meine Hauptbotschaft an Sie.
Wenn wir einen neuen Kalten Krieg verhindern wollen, wenn wir die Konfrontation zweier Blöcke – vermutlich in einer gegenüber der Vergangenheit leicht veränderten Zusammensetzung – vermeiden wollen, wenn wir eine wirkliche multilaterale Ordnung aufbauen wollen, brauchen wir unbedingt ein geeintes und starkes Europa als Grundpfeiler einer multilateralen, auf Rechtsstaatlichkeit gestützten Ordnung.
Ein Scheitern Europas wäre unweigerlich ein Scheitern des Multilateralismus und ein Scheitern einer Welt, in der Rechtsstaatlichkeit vorherrschen kann.
Gestatten Sie mir, weiter auszuführen, warum Europa notwendig ist, aber auch, was Europa für die Vereinten Nationen repräsentiert.
Erstens ist Europa, wie ich bereits in Paris sagte, zu bedeutend, um zu scheitern.
Es ist Pionier, aber auch Vorposten des Multilateralismus und der Rechtsstaatlichkeit.
Die Europäische Union ist ein einzigartiges Experiment in geteilter Souveränität.
Als ich dem Europäischen Rat angehörte, fühlte ich stets, dass sein größter Vorzug seine Kompromissfähigkeit in Zeiten wachsender Vernetzung war.
Der Primat des Europarechts – wie vom Europäischen Gerichtshof entwickelt – hebt die Europäische Union im globalen Ordnungssystem heraus. Als solches stellt es ein Bollwerk gegen die Gleichgültigkeit gegenüber dem Völkerrecht dar, die für den Multilateralismus Gift ist.
Zweitens gemahnt das europäische Sozialmodell nach wie vor daran, dass die Wirtschaft dem Gemeinwohl und dem Ziel einer egalitäreren Gesellschaft untergeordnet sein muss.
Ich selbst versuchte als Lenker des Prozesses, aus dem im Jahr 2000 die „Agenda von Lissabon“ hervorging, auf diesen diversen europäischen Traditionen aufzubauen.
Ich habe es immer für wichtig gehalten, dass das Soziale auf der europäischen Agenda nach oben rückt.
Dies trifft heute mehr denn je zu.
Soziale Sicherheitsnetze und Solidarität sind die effizientesten Mittel, um globale Herausforderungen wie Klimawandel, Migration und neue Technologien anzugehen.
Drittens sollte diese Solidarität einen universellen Ansatz umfassen.
In wacher Erinnerung an die Kolonisation und auf der Suche nach einem neuen Geist der Partnerschaft führte ich im Jahr 2000 den Ko-Vorsitz bei den ersten Gipfeltreffen der Europäischen Union mit Afrika und Indien.
Und den europäischen Ländern kommt eine Schlüsselrolle bei der Förderung der Agenda 2030 und ihrer Ziele für nachhaltige Entwicklung zu.
Lassen Sie es mich klar sagen: es ist eine historische Verantwortung für die Europäer, nie zu vergessen, was der Multilateralismus für die bedeutet, die der Unterstützung Europas bedürfen.
Und in dem Maße, wie wir das Versprechen erfüllen, niemanden zurückzulassen, werden die Menschen in der Lage sein, anständig von ihrer Arbeit in ihren Ländern zu leben.
Nur so kann Migration tragfähig und sicher sein, weder irregulär noch unmenschlich, nicht aus der Not geboren, sondern aus freier Wahl.
Meine Damen und Herren,
wir befinden uns im Übergang zu einer neuen Weltordnung, mit noch unbekanntem Ziel.
Deswegen scheint unsere Welt heute so chaotisch zu sein.
Doch selbst wenn wir letztlich in einer multipolaren Welt leben werden, dies allein ist noch keine Garantie für gemeinsamen Frieden und Sicherheit.
Europa kann auf seine Geschichte vor dem Ersten Weltkrieg zurückblicken.
Ohne ein multilaterales System war ein multipolares Europa seinerzeit nicht in der Lage, den Ausbruch von zwei tödlichen Konflikten zu verhindern.
Aus vielerlei Gründen – und vielleicht mit einem Anflug von „Saudade“ – wünsche ich mir, Europa würde sich entschlossener für die multilaterale Agenda einsetzen.
Die Vereinten Nationen brauchen ein starkes und geeintes Europa. Dies ist jedoch nur möglich, wenn Europa einige ernste Herausforderungen meistert.
Die Schwächung des europäischen Projekts hat meiner Ansicht nach viel mit mangelnder Mitverantwortung der Völker Europas zu tun. Doch habe ich bei den soeben abgehaltenen Europawahlen mit gestiegener Wahlbeteiligung sehr ermutigende Anzeichen dafür gesehen, dass sich dies ändert.
An die Stelle eines lebendigen und ständigen Kommunikationsflusses zwischen Zivilgesellschaft und politischen Institutionen, wie ihn Jürgen Habermas empfiehlt, tritt allzu oft ein exogener Entscheidungsprozess, der auf Sachverständigen oder Regeln beruht.
Hinzu kommt die wachsende Ungleichheit, die einen der Grundwerte der Europäischen Union preisgibt, insbesondere den in der Charta der Grundrechte anerkannten Grundsatz der Solidarität.
Jetzt ist es an der Zeit, wieder Vertrauen herzustellen – Vertrauen zwischen den Menschen und der Politik, Vertrauen zwischen den Menschen und den Institutionen, Vertrauen zwischen den Menschen und den internationalen Organisationen.
Im letzten Monat nahm ich an den Feierlichkeiten anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf teil. In ihrer Verfassung heißt es: „Friede kann auf die Dauer nur auf sozialer Gerechtigkeit aufgebaut werden.“
Dabei muss ich an die jungen Europäerinnen und Europäer denken.
Es freut mich, dass sie bei diesem Anlass ebenfalls von Aachen mit einem Preis geehrt werden.
Ihre Generation ist unsere größte Hoffnung. Europa darf sie nicht enttäuschen.
61 Prozent der unter 25-Jährigen liegt das europäische Projekt am Herzen. Ich bin überzeugt, dass europäische Projekte wie Erasmus und das Arbeitsplatzgarantieprogramm für Jugendliche maßgeblich dazu beigetragen haben.
Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Jugendarbeitslosigkeit 2018 noch immer bei durchschnittlich 15,6 Prozent lag, gegenüber 25 Prozent im Jahr 2013. Es ist sehr wichtig, dass unsere jungen Menschen fest daran glauben, dass Europa auch für sie funktioniert.
Meine Damen und Herren,
überall in der Welt, auch in Europa, erleben wir ein Wiederaufflammen populistischer, ethnischer, religiöser und nationalistischer Leidenschaft.
Die Herausforderungen wachsen nach außen. Doch viele Menschen wenden sich nach innen, gefangen in der Erinnerung an ein goldenes Zeitalter, das es vermutlich nie gegeben hat.
Aber Europa wird sein reiches Erbe nicht schützen, wenn es sich nicht mehr dafür interessiert, was vor ihm liegt.
Wir haben keine andere Wahl: die globalen Herausforderungen müssen auf europäischer Ebene angegangen werden. Kein Land kann das für sich allein schaffen.
Damit bietet sich aber auch eine Gelegenheit, zu definieren, was die Europäer wollen, nämlich das, was sie schon sind.
Erstens, der Klimawandel ist das beherrschende Thema unserer Zeit.
Es ist kein Zufall, dass zwei entscheidende Momente in unserem gemeinsamen Vorgehen gegen den Klimawandel in zwei Mitgliedstaaten der Europäischen Union stattfanden, in Paris und kürzlich in Katowice.
Die Europäische Union muss den Weg weisen. Es ist nicht nur die richtige Entscheidung, sondern auch eine kluge Investition.
Aber die Wissenschaft sagt uns, dass die Zeit abläuft und dass wir derzeit im Wettlauf gegen sie verlieren.
Sie sagt uns aber auch, dass wir die globale Erwärmung noch immer auf 1,5°C am Ende des Jahrhunderts begrenzen können, wenn wir entschlossen handeln.
Vor einigen Wochen habe ich die Pazifischen Inseln besucht. Für die Menschen auf diesen Inseln ist der Klimawandel keine akademische Debatte über die Zukunft. Für sie geht es um Leben und Tod, hier und jetzt.
Und wir müssen uns stärker engagieren, um die Katastrophe zu verhüten.
Europa muss das Tempo bestimmen.
Ich begrüße von ganzem Herzen das Versprechen von Bundeskanzlerin Merkel, Deutschland bis 2050 CO2-neutral zu machen.
Dies ebnet den Weg für einen ambitionierten Beitrag der EU zu meinem Klimagipfel im September. Die Ziele dieses Gipfels sind ganz klar:
Wir brauchen mehr Ambition bei der Abschwächung des Klimawandels.
Wir brauchen mehr Ambition bei der Anpassung an ihn.
Wir brauchen mehr Ambition bei der Klimaschutzfinanzierung.
Und wir müssen ganz klar sein, wenn wir mit den Menschen über den Klimawandel kommunizieren. Wir müssen den Menschen verständlich machen, dass es möglich ist, unser Ziel der CO2-Neutralität bis 2050 zu erreichen, aber dafür muss man die Politik und ihre Maßnahmen ändern, die Art und Weise, in der wir Energie erzeugen, die Menschen ernähren, Städte bauen und lenken und den industriellen Fortschritt gestalten.
Es ist auch notwendig, das ganz klar zu sagen. Deshalb habe ich mich so stark dafür eingesetzt, dass wir schrittweise die Besteuerung von Einkommen und Gehältern auf die Besteuerung von CO2-Emissionen verlagern müssen. Es ist viel besser, Steuern auf Umweltverschmutzung zu erheben als auf Arbeit.
Deshalb habe ich mich auch für die Beendigung der Subventionierung fossiler Brennstoffe ausgesprochen. Macht es denn irgendeinen Sinn, dass unser Steuergeld benutzt wird, um Orkane zu befördern, Dürre zu verbreiten, Korallen zu bleichen, Gletscher abzuschmelzen, Artenvielfalt zu reduzieren und die Erde fortschreitend zu zerstören?
Ich möchte einen in Europa nicht sehr beliebten Satz zitieren: „Als Steuerzahler wollen wir unser Geld zurückhaben, anstatt mit anzusehen, wie es dafür benutzt wird, die Welt zu zerstören.“
Zweitens, die Auswirkungen neuer Technologien.
Die Bürgerinnen und Bürger Europas stehen unter dem Schutz des strengsten regulatorischen Rahmens für Datenschutz. Die Datenschutz-Grundverordnung der EU wird weltweit die Rechtsstandards beeinflussen und so die Rechte des Menschen in der virtuellen Welt stützen.
Dies zeigt, wie ein vereintes Europa das digitale Zeitalter gestaltet und beim Schutz der Menschenrechte eine Führungsrolle übernimmt.
Ich begrüße auch den Aufruf von Christchurch, gegen die Verbreitung extremistischer Inhalte im Internet vorzugehen.
Technologische Entwicklungen, darunter auch die Künstliche Intelligenz, können bei der Umsetzung unserer Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung ein wichtiger Verbündeter sein, denn sie bergen ein enormes Potenzial für die Schaffung von Wohlstand und Wohlergehen auf der ganzen Welt.
Aber sie beinhalten auch Risiken und ernste Gefahren.
Meine Hochrangige Gruppe für digitale Zusammenarbeit wird im Juni ihre Schlussfolgerungen unterbreiten, um dazu beizutragen, digitale Technologien zu einer Kraft für das Gute zu machen.
In dieser Hinsicht befürworte ich weitergehende europäische Bemühungen und Einheit.
Noch einmal, ich glaube, dass Europa ganz besonders gut positioniert ist, auf die potenziellen Auswirkungen der vierten industriellen Revolution und insbesondere der Künstlichen Intelligenz zu reagieren.
Es ist klar, dass es massive Umwälzungen auf den Arbeitsmärkten geben wird. Millionen von Arbeitsplätzen werden geschaffen, Millionen andere werden verschwinden, aber es werden nicht mehr die gleichen Arbeitsplätze sein, und andere Fähigkeiten werden dafür benötigt.
Es ist also offensichtlich, dass unsere Bildungssysteme so umgestaltet werden müssen, dass es viel stärker darum geht zu lernen, wie man lernt, statt darum, viele Dinge zu erlernen. Klar ist, dass lebenslanges Lernen im Mittelpunkt der Aus- und Fortbildungssysteme stehen wird.
Wir werden wahrscheinlich eine neue Generation von sozialen Sicherheitsnetzen benötigen, um die enormen sozialen Herausforderungen, die auftreten werden, zu bewältigen. Aber wenn man die heutige Welt betrachtet, dann ist das europäische Sozialmodell die beste Grundlage, um diesen Herausforderungen zu begegnen, und Europa kommt eine absolut einzigartige Rolle dabei zu, die Bedingungen für einen positiven Wandel in diesen Bereichen zu schaffen.
Drittens, Vielfalt war für die europäische Kultur im Lauf ihrer Geschichte immer eine Bereicherung.
In diesem Palast Karls des Großen entstammen mehrere Elemente der römischen und byzantinischen Zivilisation. Die Assimilation verschiedener Kulturen und Vermächtnisse war der Ausgangspunkt der europäischen Kultur.
Natürlich muss Europa seinen Werten treu bleiben, die in der Charta der grundlegenden Menschenrechte und in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert sind.
Aber Europa darf nicht auf dem Prinzip „wir gegen die anderen“ beruhen. Migranten zu Sündenböcken zu machen und unsere Türen für Asylsuchende zu schließen, ist kein Schutz, sondern eine Schande für dieses Erbe.
Ich möchte die Anwesenheit des Bischofs von Aachen, dessen wunderbaren Vortrag wir während der Messe angehört haben, dazu benutzen, ihn zu bitten, Seiner Heiligkeit Papst Franziskus meinen tiefen Dank auszurichten für die Standhaftigkeit, mit der er die Migranten und Flüchtlinge verteidigt.
Nur zu oft wird vergessen, dass die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ursprünglich verabschiedet wurde, um in der Nachkriegszeit Millionen europäischer Vertriebener Schutz zu gewähren.
Und ich bin überzeugt, dass Europa eine Verantwortung hat, diese Verpflichtungen einzuhalten.
Nur ein geeintes Europa ist in der Lage, ein ausgewogenes Konzept vorzuschlagen, um die tieferen Ursachen der Migration anzugehen und gleichzeitig die Rechte und die Würde der Migranten zu wahren.
Heute sind alle Gesellschaften tendenziell oder bereits multiethnisch, multikulturell und multireligiös. Dies muss als Bereicherung und nicht als Bedrohung angesehen werden.
Man darf das nicht als gegeben betrachten. Vielfalt ist für eine Gesellschaft nur dann bereichernd, wenn auf politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Ebene nachhaltig in den Zusammenhalt investiert wird.
Damit sich jede Gemeinschaft in ihrer Identität respektiert fühlt und doch gleichzeitig der Gesellschaft als Ganzes angehört.
Meine Damen und Herren,
aus der Geschichte wissen wir, dass Karl der Große lebenslang mit der Frustration lebte, dass er nicht schreiben konnte.
Noch im Alter übte der „Vater Europas“, wenn er Muße hatte, in seinem Bett Buchstaben auf Büchern und Wachstafeln zu formen, die er unter seinem Kissen versteckte.
Manche haben gesagt, dass Europa wie Karl der Große von Jerusalem, Athen, Rom und vielen anderen Kulturen lernen musste.
Und so muss ich in diesem Moment an die vielen wissbegierigen Flüchtlingskinder denken, die ich in den Schulen des Flüchtlingshochkommissariats oder des Hilfswerks für Palästinaflüchtlinge sah. Das Strahlen in ihren Gesichtern war dasselbe wie das in den armen Stadtvierteln von Lissabon, als ich dort in meiner Studentenzeit als Freiwilliger arbeitete. Die Arbeit, die mich schließlich dazu brachte, eine politische Laufbahn einzuschlagen.
Sie alle und all diejenigen, die lernbegierig sind, sind Teil dieser „ehrenvollen Entscheidung“, die Albert Camus 1946 in „Vers le Dialogue“ so beschrieb:
„Tenir obstinément ce formidable pari qui décidera enfin si les paroles sont plus fortes que les balles.“ [„(…) unbeirrbar bei dieser großartigen Wette mitzumachen, die schließlich darüber entscheiden wird, ob Worte stärker sind als Kugeln.“]
[Original PT] Als Generalsekretär der Vereinten Nationen habe ich nichts außer meiner Überzeugungskraft und der Möglichkeit, zur Vernunft aufzurufen.
Doch seien Sie versichert, dass ich immer mein Bestes tun werde, um unermüdlich und leidenschaftlich für Werte wie Pluralismus, Toleranz, Dialog und gegenseitigen Respekt einzutreten und so eine Welt des Friedens, der Gerechtigkeit und der Würde zu schaffen.
Ich danke Ihnen.

[Übersetzung: Deutscher Übersetzungsdienst der Vereinten Nationen]