Laudatio von Edward Heath, Karlspreisträger des Jahres 1963

Laudatio von Edward Heath, Karlspreisträger des Jahres 1963

Jahr für Jahr, seit Sie mir den Charlemagne Preis verliehen hatten, habe ich gehofft, an einem Himmelfahrtstag nach Aachen zurückkommen zu können, an dem Tage, wann diese glänzende Zeremonie stattfindet. Ich fühlte es als eine besondere Ehre, daß Sie bei dieser Gelegenheit, wenn der Preis meinem Freund und Mitarbeiter in Europa, Dr. Joseph Luns, erteilt wurde, mich einluden, die Willkommen Ansprache für Ihren hervorragenden Gast zu halten. Meine Enttäuschung ist daher um so tiefer, daß es mir aus parlamentarischen Gründen nicht möglich ist, London zu verlassen und mit Ihnen in Aachen wieder zusammen zu sein. Mein Bedauern ist aber durch das Vergnügen gelindert, daß die Ursache meiner Abwesenheit die seitens der britischen Regierung am Dienstag gemachte Erklärung ist, mit der ihre Bewerbung für volle Mitgliedschaft in der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft angekündigt wurde. Dies ist die Ursache, für die ich und die Regierung, deren Mitglied ich war, so angestrengt und unverzagt in den Jahren 1961 bis 1963 gearbeitet hatten und für die mir die Ehre der Charlemagne Preis-Zuteilung erwiesen wurde. Ich hoffe, daß diese weitere Bewerbung Großbritanniens von allen Mitgliedsregierungen der Gemeinschaft begrüßt wird und daß sie zu einem erfolgreichen Ende führt. Obzwar also meine Abwesenheit unabwendbar ist, freut es mich sehr, daß mein Freund und Mitglied des Parlaments, Mr. Peter Kirk, selbst gut bekannt für seine Arbeit in der Sache der europäischen Eintracht, in der Lage ist, Ihnen heute einige der Dinge vorzulesen, die ich gerne selbst gesagt hätte.

Es ist eben über zwanzig Jahre her, seit Winston Churchill in einer Rede in Zürich im September 1946 den Funken einer europäischen Eintracht wieder anfachte. Ein Satz in dieser Rede faßt seine Schlußfolgerung zusammen, und diese Schlußfolgerung steht immer noch vor uns. Er sagte: ?Die Sicherheit der Welt erfordert eine neue Eintracht in Europa, eine Eintracht, von der keine Nation ständig ausgeschlossen werden sollte?.

Heute, da wir zusammenkommen, um dem Außenminister der Niederlande unsere Ehre zu bezeugen, ist es auch angezeigt, uns an eine Rede zu erinnern, die Churchill im Jahre 1948 im Hag anläßlich des europäischen Kongresses hielt. Er erinnerte an die vielen Vorläufer der Idee einer europäischen Eintracht, insbesondere an König Heinrich IV. von Frankreich, der den ?großen Plan? für eine Zusammenarbeit der christlichen Könige Europas ausgearbeitet hatte. Churchill sagte: ?Nach dieser langen Zeitspanne sind wir die Diener des großen Planes?.

Alle die wir hier in Aachen versammelt sind, sind die Diener des großen Planes. Dies ist eine entsprechende Gelegenheit, um zu prüfen, in welcher Weise der Plan fortgeschritten ist. Ob wir von Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft kommen oder nicht, feiern wir heuer den zehnten Jahrestag des Vertrags von Rom. Ich glaube, wir alle wissen, daß die europäische Eintracht aus der durch diesen Vertrag geschaffenen Gemeinschaft aufgebaut wird.

Wenn einmal die Geschichte der ersten zehn Jahre dieser Gemeinschaft geschrieben wird, dann dürfte, glaube ich, das Hauptgewicht nicht auf den tatsächlichen Entscheidungen der Gemeinschaft liegen, sondern auf der Art, in der diese Entscheidungen selbst, wie die Zollgemeinschaft, die gemeinsame Landwirtschaftspolitik und alles andere von überragender Bedeutung. Auf die Länge jedoch, ist vielleicht die Art, die sich zur Durchführung der Agenden innerhalb der Gemeinschaft entwickelt hat, von größerer Bedeutung. Ich meine hier die Weigerung, Fehlschläge hinzunehmen, die Bereitschaft, Tag für Tag und Nacht für Nacht Argumente und Verhandlungen zu führen, bis schließlich eine Einigung erzielt ist; vor allem, jedoch, die Bereitschaft, nationale Interessen zu opfern, um ein gemeinsames Endziel zu erreichen. Dies ist es, was als Gemeinschaftsmethode bekannt ist. Dies ist es, was die Zusammenkünfte der Gemeinschaft von der gewöhnlichen zufälligen Diplomatie einer diplomatischen Konferenz unterscheidet.

Von unserem außerhalb stehenden Beobachtungsposten haben wir gesehen, wie viel Weisheit und Zähigkeit erforderlich war, um all dies herbeizuführen. Wir haben diese Tugenden ganz speziell in Dr. Joseph Luns erkannt, der seit 1956 Außenminister seines Landes ist, seit dem Jahre in dem der Vertrag von Rom abgeschlossen wurde. Man kann sich nur schwer vorstellen, wie groß die körperliche und seelische Belastung ist, die mit der Innehaltung eines so hohen Amtes durch so viele Jahre hindurch in unserer komplizierten und überarbeiteten Welt verbunden ist. Dieses Amt mit dem Humor und Widerstandskraft zu bekleiden, für die Dr. Luns bekannt ist, ist in der Tat eine bemerkenswerte Leistung. Es bereitet mir ein außerordentliches Vergnügen, daß Dr. Luns zum Träger des Karl des Großen Preises erwählt wurde.

Wir in Großbritannien haben einen besonderen Grund, uns über dies Preisverleihung zu freuen. 1967 ist nicht nur das Jahrzehnt des Vertrags von Rom. In diesem Monat wurden es dreihundert Jahre, daß der holländische Admiral De Ruyter die Themse und Medway hinaufsegelte, um die Schiffe der Kriegsmarine Seiner Britannischen Majestät zu finden und zu vernichten. In jenen fernen Tagen dürften die Bürger meiner Heimatstadt Broadstairs an der Küste von Kent die Segel der holländischen Flotte mit begreiflicher Unruhe verfolgt haben. Dr. Luns hat seine eigenen Feldzüge nach London unternommen, doch hatten diese, zum Glück, einen mehr friedliebenden und freundlichen Charakter. Er kam im Jahre 1943 als einer der Vertreter der holländischen Exilregierung. Er blieb bei uns bis 1949, und während dieser Zeit erwarb er eine tiefe und ausführliche Kenntnis unserer nationalen Merkmale und Probleme. Wir sehen in ihm einen festen Freund in schweren als auch in leichten Tagen. Insbesondere hat sich Dr. Luns als Verfechter einer Gemeinschaft erwiesen, die allen jenen offensteht, die den Entschluß und die Befähigung haben, ihr beizutreten. Diese Rolle hat er erfüllt, ohne seine Begeisterung für den weitestgehenden Grad einer europäischen Einheit in politischen als auch in wirtschaftlichen Beziehungen zu verlieren. Er hat richtig erkannt, daß auf die Länge kein Widerspruch zwischen diesen zwei Ideen besteht. Nur ein Europa, das alle wichtigen europäischen Mächte einschließt, und das eine Einheit in immer weiteren Reihen von Beziehungen erstrebt, kann die volle Kraft unseres Erdteils vorwärts treiben zu einer friedlichen Konkurrenz mit der übrigen Welt. Dies auszusprechen bedeutet nicht, daß die Kraft, die wir alle aus unseren nationalen Errungenschaften schöpfen, verneint werden soll. In seiner Rede im Hag, die ich bereits erwähnt habe, hat Churchill im Bezug auf den Prozeß einer europäischen Vereinigung dies gesagt: ?Es wird mit Recht behauptet, daß dies gewisse Opfer oder Verschmelzungen nationaler Souveränität mit sich bringen würde. Es ist jedoch ebenfalls möglich und nicht weniger angenehm, dies als eine stufenweise Übernahme durch alle betroffenen Nationen jener größeren Souveränität die allein imstande ist, jene unterschiedlichen und besonderen Gewohnheiten, charakteristische Kennzeichen und nationale Überlieferungen zu schützen, die alle unter einem totalitären System, sei es Nazi, faschistisch oder kommunistisch, sicherlich für immer ausgetilgt werden würden?.

Das ist eine Wahrheit die Dr. Luns im Laufe seiner Karriere ständig verkündet hat. Es ist eine Wahrheit, die in unserem Lande von allen Schattierungen der öffentlichen Meinung immer mehr akzeptiert wird. Es ist eine grundlegende Wahrheit für den Aufbau eines echten und dauerhaft geeinten Europas.