Laudatio von Jean Monnet, Karlspreisträger des Jahres 1953

Laudatio von Jean Monnet, Karlspreisträger des Jahres 1953

Herr Präsident,
Herr Bürgermeister,
Herr Spaak,

ich beglückwünsche Sie heute, mein lieber Freund, zum Empfang des Karlspreises für Europa und für den Frieden. Seit vielen Jahren haben Sie durch Ihre Bemühungen am Aufbau unseres Europas mitgewirkt. Vor zwei Monaten wurden in Rom die Verträge des Gemeinsamen Marktes und Euratoms unterzeichnet, bei deren Ausarbeitung sie die Leitung innehatten.

Ich möchte auch die alte Stadt Aachen und die Stifter des Karlspreises dazu beglückwünschen, daß sie in demselben Gedanken den Frieden und Europa vereint haben.

Heut bedeutet Frieden vor allem das friedliche Zusammenleben von West und Ost, in dem jeder nach seiner Art in der Verbesserung des Lebensniveaus der Menschen fortfährt. Dies ist nur möglich, und von Dauer, wenn die getrennten Länder, die Europa bilden, sich in einem neuen Kontinent vereinigen und aufhören, der Einsatz zu sein, der sie getrennt heute sind.

In der Tat, keine der europäischen Nationen ist den großen wirtschaftlichen und politischen Großmächten gewachsen, die uns umgeben und die einen immer größeren Einfluß auf die Entwicklung der Welt nehmen. Die Schwäche und die Unsicherheit, die sich aus der Trennung ergeben, liegen schwer auf der Zukunft unserer getrennten Länder und sind Elemente der Unsicherheit und des Mißtrauens. Erinnern wir uns daran, daß in der Vergangenheit der Krieg wegen der Grenzländer der großen Mächte ausgebrochen ist. Das notwendige Gleichgewicht für den Friedender Welt, das die Vereinigten Staaten von Europa bringen werden, muß ebenfalls die friedliche Wiedervereinigung der Deutschen von Ost und West erlauben, die im Herzen Europas unerläßlich ist.

Bis die Vereinigten Staaten von Europa endgültig verwirklicht sein werden, bis die Wirkung ihrer Existenz eine politische Stabilität herbeiführt, die uns fehlt, wird noch viel Zeit vergehen. Deshalb ist es in der augenblicklichen Übergangsperiode unerläßlich, daß die Bestimmung der Völker Europas, sich zu vereinigen, beharrlich kundgetan wird, immer wieder bestätigt, unablässig verfolgt, wird und sich so nach und nach von Stufe zu Stufe konkretisiert. Das ist eine sehr wesentliche Bedingung, die den Menschen helfen wird, an die Erhaltung des künftigen Friedens zu glauben.

Wir kommen langsam voran, aber wir können optimistisch sein. Wir sehen nach und nach, Schritt für Schritt, sich ein neues Europa bilden, in welchem unsere Länder ihre Hilfsquellen zusammenlegen, anstatt sie voreinander zu behüten – ein Europa, in welchem die nationalen Souveränitäten das Grundgesetz und das Gesetz allgemeiner Bestimmungen zur Ordnung zum Wohl aller anerkennen.

Die Errichtung der Vereinigten Staaten von Europa muß wie alle wirklichen Umwandlungen notwendigerweise wachsen. Sie hat begonnen mit der Vereinigung von Kohle und Stahl, und so hat sich die Gemeinschaft für Kohle und Stahl entwickelt, deren Produktion heute gleich nach der der Vereinigten Staaten kommt.

Sie entwickelt sich langsam und mit Schwierigkeiten durch eine neue Etappe, über die sich die Parlamente der sechs Länder in Kürze entscheiden werden. Es handelt sich um den Gemeinsamen Markt, der einem Kontinent von mindestens 160 Mill. Verbrauchern dienen soll.

Es handelt sich um die Zusammenlegung der Kenntnisse und der notwendigen Industrie, um den Völkern Europas durch Euratom die Energie zu geben, die ihnen fehlt und die unvermeidlich für den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt ist. In zehn Jahren müßte das Vereinigte Europa an der Spitze der friedlichen Atomenergieproduktion stehen.

Großbritannien nimmt noch nicht den Platz ein, der ihm unter den Gründungsländern einen Vereinigten Europas zusteht. Die Wahl Englands, seine Probleme mit seien eigenen Mitteln zu lösen oder die Lösung zu finden, indem es sich dem zu schaffenden Europa anschließt, ist langsam und zögernd. In dem Maße, in dem sich die europäische Realität kundtut, beginnen die englischen Zweifel zu verschwinden und werden durch eine positive Entwicklung ersetzt.

Zweieinhalb Jahre Entwicklung waren nach der Einrichtung der Hohen Behörde im August 1952 nötig, um endlich im Dezember 1954 zu einem Vereinigungsvertrag zwischen der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und dem Vereinigten Königreich zu kommen. Warum diese lange Zeitspanne? Weil England erst einmal sehen wollte, ob der Gemeinsame Markt von Kohle und Stahl eine Idee bliebe oder Realität werden würde. Jetzt in Hinblick auf die Perspektive der Einrichtung des Gemeinsamen Marktes, selbst noch vor der Ratifizierung des Vertrages, der ihn schaffen soll, hat England eine Freihandelszone zwischen dem Vereinigten Königreich und dem Europäischen Gemeinsamen Markt vorgeschlagen.

Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß die notwendige und natürliche Annäherung Englands und des Kontinents sich in dem Maße weiterentwickeln wird, wie die Vereinigten Staaten von Europa nach und nach Wirklichkeit werden.

Wenn der Stand der Dinge im heutigen Europa geändert wird, dann verändern wir auch die Haltung der anderen Länder der Welt uns gegenüber; ich denke dabei besonders an die Sowjetunion. Die kürzlichen sowjetischen Vorschläge zeigen, daß die Russen sich Rechenschaft darüber geben, daß wir, indem wir auf die Einheit Europas hingen, den Weg gewählt haben, der uns für die Zukunft die gleichen Möglichkeiten gibt wie ihnen selbst.

Bereits die gleichberechtigte Verbindung Europas mit den Vereinigten Staaten für die friedliche Entwicklung der Atomenergie ist ein frappierendes Beispiel der Ergebnisse, zu denen die Europäische Vereinigung führt.

Sie kennen die Arbeiten der drei Atomweisen und die große Anstrengung der atomaren Elektrizitätsproduktion, deren Notwendigkeit für unsere Länder und die Möglichkeit durch Euratom jene drei Weisen erkannt haben. Dank der Gründung von Euratom glauben die Vereinigten Staaten von Amerika deshalb zum ersten Mal seit dem Ende des Krieges daran, eine Zuwendung von Europa zu erhalten, die der entspricht, die sie zu Beginn Europa leisten werden.

Jahrhundertelang haben die Hilfsquellen und die schöpferischen Möglichkeiten unserer Länder der Welt und der Zivilisation gedient. Es hängt von uns ab, die Bedingungen zu schaffen, die uns von neuem erlauben, uns selbst und der Welt die zivilisatorischen Güter zu bringen, die für den friedlichen Fortschritt der Menschen unerläßlich sind. Deshalb ist es notwendig, daß wir mit jener unermüdlichen Ausdauer an der Einheit Europas arbeiten, die Sie, mein lieber Freund, die ganzen letzten Jahre hindurch bewiesen haben und der wir heute unsere Ehrerbietung bringen.