Begründung des Direktoriums

Begründung des Direktoriums

Begründung des Direktoriums der Gesellschaft für die Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen an den Präsidenten der Französischen Republik

Emmanuel Macron

I.
Die Gesellschaft für die Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen ehrt im Jahr 2018 den Präsidenten der Französischen Republik, Emmanuel Macron, für seine Vision von einem neuen Europa und der Neugründung des europäischen Projektes, von einer neuen europäischen Souveränität und einer engen, neu strukturierten Zusammenarbeit der Völker und Nationen. Seine Leidenschaft und sein europäisches Engagement, sein Eintreten für Zusammenhalt und Gemeinsamkeit und sein entschiedener Kampf gegen jede Form von Nationalismus und Isolationismus sind zur Überwindung der europäischen Krise vorbildhaft, wegweisend und im positiven Sinne ansteckend. Die Karlspreisgesellschaft ehrt mit Emmanuel Macron einen mutigen Vordenker für die Erneuerung des Europäischen Traums.
Zugleich verbindet die Karlspreisgesellschaft mit der Ehrung die Hoffnung und den Wunsch vieler europäischer Bürger, dass die Vorschläge des Karlspreisträgers 2018 seine europäischen Partner inspirieren und zu einer zukunftsfähigen Erneuerung des europäischen Projektes beitragen.

Am Ende eines aufgeladenen europäischen Wahljahres, das maßgeblich geprägt war von der Auseinandersetzung mit Populisten, Radikalen und Nationalisten, sticht ein Datum hervor: der 7. Mai 2017. Die Wahl von Emmanuel Macron zum Präsidenten der Französischen Republik hat einmal mehr eindrucksvoll bewiesen, dass Europa begeistern kann.

Offensiv wie nur wenige andere hat Macron die europäische Idee ins Zentrum seines politischen Engagements gerückt; offensiv wie nur wenige andere hat er die Auseinandersetzung mit denen gesucht, die das Projekt, dem unser Kontinent die längste Friedensperiode seiner Geschichte verdankt, zur Disposition stellen wollen; und offensiv wie nur wenige andere setzt er mit ambitionierten Vorschlägen Impulse für eine Weiterentwicklung der EU, für „die Neubegründung eines souveränen, geeinten und demokratischen Europa“ – denn, so seine Überzeugung, „wir sollten wieder empfänglich dafür sein, große Geschichte schreiben zu wollen“.

Macron geht es nicht um institutionelles Kleinklein, ihm geht es vielmehr um die wesentlichen Grundsatzfragen, um die große europäische Erzählung, mit der er die Menschen wieder für das Einigungswerk gewinnen will: „Das Problem ist, dass Debatten über Europa zu Auseinandersetzungen zwischen Experten und Juristen geworden sind. Dabei war Europa doch vor allem als politisches Projekt gedacht! Die EU wurde nicht von Experten begründet, auch nicht von Diplomaten. Sie wurde von Menschen erschaffen, die aus dem Drama unserer gemeinsamen Geschichte gelernt haben. Ich schlage einen Neuanfang vor, und zwar einen, bei dem man nicht erst ewig beratschlagt, welche Instrumente man dafür braucht – sondern einen, der vom Ziel her gedacht sein soll. Was wollen wir? Wie soll unser Europa aussehen? Ich will den europäischen Traum erneuern, will die Ambitionen dafür wiedererwecken. (Der Spiegel 42/17)"
Macron beteuert seinen festen Glauben daran, „dass das moderne politische Leben den Sinn für das Symbolische wiederfinden muss“. So erschließt sich jene bis dato einzigartige Szene des gerade gewählten neuen französischen Präsidenten, der nicht etwa zur Marseillaise, sondern zu den Klängen der Europahymne den Innenhof des Louvre durchschreitet, um zu seinen Anhängern zu sprechen und die feste Verankerung Frankreichs in der Europäischen Union zu unterstreichen.

II.
Emmanuel Macron wird am 21. Dezember 1977 in Amiens geboren, wo er aufwächst und das von Jesuiten geleitete Lycée La Providence besucht. Später wechselt er an das Pariser Lycée Henri IV, das er mit dem Baccalauréat abschließt. Nachfolgend studiert er Philosophie an der Universität Paris-Nanterre sowie Politikwissenschaften am Institut für politische Studien („Sciences-Po“). Von 1999 bis 2001 als Assistent des renommierten Philosophen Paul Ricœur tätig, absolviert er zwischen 2002 und 2004 die Straßburger Elitehochschule ENA, bevor er in die Dienste der staatlichen Finanzinspektion eintritt.

2008 wechselt er als Investmentbanker zur Privatbank Rothschild & Cie., bei der er zwei Jahre darauf zum Partner avanciert. Nach dem Wahlsieg von François Hollande tritt der parteilose Macron (der die Sozialistische Partei nach nur kurzer Mitgliedschaft wieder verlassen hat) im Mai 2012 in dessen Beraterstab im Elysée-Palast ein und wird stellvertretender Generalsekretär der Präsidialverwaltung. Im August 2014 wird Macron als Minister für Wirtschaft, Industrie und digitale Ökonomie in die Regierung berufen.

Nachdem er bereits im April 2016 in Amiens die Bewegung „En marche!“ ausgerufen hat, mit der er breite Bevölkerungsschichten ansprechen, verkrustete politische Strukturen aufbrechen und das Lagerdenken in Rechts und Links überwinden will, tritt er Ende August 2016 vom Ministeramt zurück und kündigt Mitte November desselben Jahres an, sich als unabhängiger Kandidat um die Präsidentschaft zu bewerben.

„Man kann Wahlen gewinnen, wenn man eine Idee von Europa hat und diese verteidigt“, zeigt sich Macron gleich zu Beginn seiner Kampagne kämpferisch. Und getreu seiner Überzeugung, dass es das deutsch-französische Verhältnis ist, von dem das „europäische Momentum“ ausgehen muss, wirbt er im Januar 2017 – wie vor ihm schon viele große Europäer – an der Berliner Humboldt-Universität für seine Vorstellungen zu einer Erneuerung Europas.

„Sicherheit nach außen zu gewährleisten, […] ist Voraussetzung und innerster Kern jeglicher Souveränität von Staaten. Dies gilt demnach für die EU als Gemeinschaft von Staaten in dem Sinne, dass sie überhaupt nur noch so, durch die Gemeinschaft Souveränität erhalten können“, zitiert er in Berlin aus dem Schäuble/ Lamers-Papier von 1994 und besetzt damit seinen Kernbegriff.
Die Souveränität wird er in der Folge in vielen Reden und Beiträgen präzisieren und in den Mittelpunkt stellen. Denn, so Macrons Überzeugung, Souveränität in der heutigen Welt kann eben nicht der Nationalstaat, sondern einzig die Europäische Union sichern.

Macron macht den französischen Präsidentschaftswahlkampf zu einem Referendum für Europa.

„Wenn Sie ein zaghafter Europäer sind, sind Sie bereits ein besiegter Europäer“, nimmt er den Kampf mit den Europagegnern offensiv an; und während mancherorts lamentiert wird, dass sich politische Positionen in den europäischen Demokratien immer mehr anglichen, dass den Wählerinnen und Wählern klare Alternativen fehlten, stehen sich bei der Stichwahl um das Amt des französischen Staatsoberhauptes zwei Kandidaten gegenüber, die in ihren Grundüberzeugungen und Wahlprogrammen gegensätzlicher nicht sein könnten.

Macron ficht u.a. für ein bürgernahes Europa, eine gemeinsame Wirtschaftspolitik und einen EU-Finanzminister, die Stärkung des Euro und ein europäisches Investitionsprogramm. Durch seine pro-europäische Haltung stellt er sich gegen eine Re-Nationalisierung seines Landes, damit auch gegen die nationalistischen und populistischen Tendenzen im übrigen Europa.

Von einer Schicksalswahl wird denn auch nicht nur in Frankreich, sondern in weiten Teilen der EU gesprochen – die Emmanuel Macron am 7. Mai 2017 mit überwältigender Mehrheit für sich entscheidet. Mit über 66 Prozent der Stimmen wird der 39-Jährige zum achten (und jüngsten) Präsidenten der Französischen Republik gewählt.

III.
Am Tag nach seiner Amtsübernahme führt ihn sein erster Auslandsbesuch nach Deutschland, wo er mit der Bundeskanzlerin eine Intensivierung der deutsch-französischen Zusammenarbeit sowohl auf bilateraler als auch auf gesamteuropäischer Ebene vereinbart. Die enge Partnerschaft, für Macron nicht nur notwendige Bedingung für den Erfolg Europas, sondern „sogar eine Arbeitsethik“, zeigt sich bereits bei dem gemeinsam vorbereiteten Europäischen Rat am 23. Juni 2017, dessen Ergebnisse die Bundeskanzlerin und der französische Präsident in einer gemeinsamen Abschluss-Pressekonferenz bewerten. Mit wichtigen Ergebnissen zum Klimaschutz, zur Bekämpfung des Terrorismus und zu einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik setzt der Gipfel ein Zeichen der Tatkraft, vor allem aber auch ein Zeichen neuer Dynamik und Zuversicht.

Hatte Macron bereits im französischen Wahlkampf und in seiner Humboldt-Rede Grundzüge seiner Überlegungen zur Zukunft der EU dargelegt, ergreift er zwei Tage nach der Bundestagswahl am 26. September 2017 an der Pariser Sorbonne die „Initiative für Europa“. Zu lange, so bemängelt er, „waren wir uns sicher, dass die Vergangenheit uns nicht mehr einholt, […] haben gedacht, dass wir uns in der Trägheit, in der Gewohnheit einrichten können, dass wir dieses Ziel ein wenig aus den Augen verlieren können, diese Hoffnung, die Europa tragen sollte, weil sie zu einer Selbstverständlichkeit geworden war, deren Faden wir verloren hatten“. Zu lange hätten es die Europäer zugelassen, dass Brüssel als ohnmächtige Bürokratie dargestellt werde. „Dabei vergessen wir, dass wir Brüssel sind, immer! Wir haben nichts mehr vorgeschlagen, wir wollten nicht mehr.“ Aber „ich überlasse nichts denen, die Hass, Spaltung oder nationale Abschottung versprechen. Ich überlasse ihnen keinen einzigen Vorschlag. Es liegt an Europa, Vorschläge zu machen. Es liegt an uns, diese zu tragen, jetzt und sofort.“

Was folgt, ist ein umfassendes, teilweise sehr konkretes und vor allem leidenschaftliches Plädoyer für die „Neubegründung eines souveränen, geeinten und demokratischen Europa“. Den Herausforderungen in einer globalisierten Welt kann kein Staat allein erfolgreich begegnen. Der Schlüssel zur Souveränität liegt für Macron vielmehr in der europäischen Zusammenarbeit, in einem Europa,
- das Sicherheit in all ihren Dimensionen, in der Verteidigung, im Kampf gegen den Terrorismus wie auch im Zivilschutz, gewährleistet,
- das auf die Herausforderung der Migration reagiert – mit einer gemeinsamen Grenzsicherung und einer gemeinsamen Asylbehörde ebenso wie mit einem Integrationsprogramm;
- das in seiner Außenpolitik den Blick vor allem auf den Mittelmeerraum und eine neue Partnerschaft mit Afrika richtet,
- das für eine nachhaltige Entwicklung in der Energie- und Umweltpolitik steht,
- das die digitale Revolution nicht einfach hinnimmt, sondern führend gestaltet,
- und in der Eurozone als Zentrum der wirtschaftlichen Kraft Europas, stabilisiert durch nationale Reformen, aber auch durch eine Koordinierung der Wirtschaftspolitiken und ein gemeinsames Budget.

Steuerliche und soziale Konvergenz, die Reform der Entsenderichtlinie, die Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer, transnationale Listen zur Europawahl, die Verkleinerung der Kommission – Macron ist sich dessen allzu bewusst, dass viele seiner detailreichen Vorschläge Kontroversen hervorrufen werden. Und er lädt selbst zur Diskussion ein, fordert sie vielmehr, nicht nur auf der Ebene der Regierungen, sondern in der breiten Bevölkerung: „Wir müssen das europäische Projekt neu begründen durch und mit den Völkern […] Deshalb wünsche ich mir, wenn wir von neuem voranschreiten wollen, dass wir dies über demokratische Konvente machen, die ein integrativer Bestandteil der Neubegründung Europas sind. Wenn wir einmal die einfachen Begriffe für einen Fahrplan definiert haben, der unterstützt wird von den wichtigen Regierungen, die bereit sind, in diese Richtung zu gehen, möchte ich, dass wir im kommenden Jahr über sechs Monate in allen Ländern, die teilnehmen möchten, eine umfangreiche Debatte zu einheitlichen Fragen zur Bestimmung der Prioritäten, Sorgen und Ideen für unseren Fahrplan für das Europa von morgen organisieren.“

Mit Blick auf das im Januar 2018 anstehende 55-jährige Jubiläum des Elysee-Vertrags lädt er Deutschland dabei zu einer „neuen Partnerschaft“ ein; denn „zu all diesen Themen, die ich angesprochen habe, können wir entschiedene und konkrete deutsch-französische Impulse geben“.

Macron ist ein Staatenlenker mit europäischem Führungsanspruch.

Auf dem EU-Gipfel in Tallinn Ende September 2017 ruft er eine Gruppe der „Freunde der Wiederbegründung Europas“ ins Leben. Er fordert alle auf, sich an einer verstärkten Integration zu beteiligen. Ebenso deutlich formuliert er aber auch, dass es nicht passieren dürfe, dass die unwilligen Länder die reformbereiten aufhielten. Vielmehr solle ein Fahrplan und eine Methode entwickelt werden, auf der sich die Reformbereiten verständigen.

Anfang Oktober macht er einen Vorstoß, eines der schwierigsten Kapitel der europäischen Verständigung, die Flüchtlingspolitik, teilweise zu entschärfen. Er kündigt an, binnen zwei Jahren 10.000 Flüchtlinge aus UN-Lagern rings um Syrien und aus Afrika in Frankreich aufzunehmen. Er fordert andere EU-Länder auf, diesem Beispiel zu folgen, da nur so sich Europas humanitäre Verpflichtung am besten erfülle und die Auswahl der wirklich Hilfsbedürftigen bei gleichzeitiger Kontrolle über den Umfang der Einwanderung erfolge.

Am 10. Oktober 2017 wiederholt der französische Staatschef in der Goethe-Universität zu Frankfurt seine Initiative für eine erneuerte Souveränität Europas und unterstreicht die Bedeutung von Kultur und Bildung als „den besten Zement in der EU“. Es gelte, jedem Kind in Europa einen Horizont aufzuzeigen, Bildung als Gegenmittel der Malaise der europäischen Zivilisation zu verstärken und zum Schutz vor Irrungen und Wirrungen populistischer Tendenzen, vor allem die Zukunftschancen für Kinder aus sozial benachteiligten Schichten zu verbessern.
„Wir müssen nicht zum Arzt gehen, weil wir eine Vision haben“, sondern uns „die Frage stellen, was wir gemeinsam machen wollen.“

Präsident Macron will Europa wieder in den Herzen der Menschen verankern.

IV.
Es sind nicht allein die inhaltlichen Vorschläge, die die große Beachtung der Öffentlichkeit finden; es sind die Zuversicht und der kämpferische Mut, die visionäre Vorstellungskraft und vor allem die in den Mitgliedstaaten lange schmerzlich vermisste Leidenschaft, mit der Macron die Initiative für Europa ergreift und der Reformdebatte neuen Schwung gibt.

Es ist dieselbe für ihn charakteristische Leidenschaft, mit der der französische Präsident seinen Landsleuten tiefgreifende und schwierige Reformen abverlangt – und mit der er sich auf internationaler Ebene an die Spitze derer stellt, die den Klimaschutz voranbringen wollen.

„We all share the same responsibility: Make our planet great again.“ Als US-Präsident Donald Trump den Ausstieg der Vereinigten Staaten aus dem Pariser Klimaabkommen verkündet, ist es Macron, der in einer – in fließendem Englisch vorgetragenen – Erklärung aus dem Elysée-Palast die Antwort der Europäer formuliert und gleichzeitig alle von der Entscheidung Trumps enttäuschte Wissenschaftler, Ingenieure und Unternehmer zur weiteren Zusammenarbeit einlädt und ihnen Frankreich als zweite Heimat anbietet.

Im November 2017 wird er auf der Weltklimakonferenz in Bonn konkreter, formuliert Zielsetzungen für Europa und macht sich für den durch den Rückzug der USA bedrohten Weltklimarat (IPCC) stark: „Ich möchte daher, dass Europa an die Stelle der Amerikaner tritt, und heute hier sagen, dass Frankreich zur Stelle sein wird. Ich möchte, dass so viele europäische Staaten wie möglich mit uns gemeinsam den Verlust der amerikanischen Finanzierung ausgleichen. Ich kann Ihnen bereits jetzt garantieren, dass dem IPCC ab 2018 nicht ein Cent fehlen wird, um zu funktionieren, voranzuschreiten und unsere Entscheidungen konstruktiv zu unterstützen.“

V.
In einer Zeit, in der unser Kontinent vor entscheidenden Weichenstellungen steht, hat Emmanuel Macron den Kampf für Europa mit Leidenschaft und mutiger Zuversicht offensiv angenommen, hat gezeigt, dass und wie mit einem klaren Bekenntnis zur Gemeinsamkeit die Bürgerinnen und Bürger für eine Erneuerung des Europäischen Traums gewonnen werden können. In seiner noch kurzen Amtszeit hat Emmanuel Macron Europa neu inspiriert und der Debatte über eine vertiefte Einigung unseres Kontinents neuen Schwung und eine neue Dynamik gegeben.
Mit dem Präsidenten der Französischen Republik ehrt und ermutigt das Direktorium der Gesellschaft für die Verleihung des Internationalen Karlspreises im Jahr 2018 einen Hoffnungsträger für ein neues Kapitel der europäischen Erfolgsgeschichte.