Rede des Oberbürgermeisters der Stadt Aachen, Hermann Heusch

Rede des Oberbürgermeisters der Stadt Aachen, Hermann Heusch

Die Erklärung, mit der die französische Regierung am 9. Mai 1950 ihre Konzeption einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die unter dem Namen Schumanplan Geschichte gemacht hat, der Öffentlichkeit übergab, beginnt mit den Worten: "Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen. Der Beitrag, den ein organisiertes und lebendiges Europa für die Zivilisation leisten kann, ist unerläßlich für die Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen." Bei der Eröffnung der internationalen Verhandlungen über das Vertragswerk sagte Robert Schuman am 20. Juni 1950 in Paris, sein Vorschlag sei, neben der großen wirtschaftlichen Bedeutung, vor allem politischer Art. Zwei Nationen, die sich jahrhundertelang befehdet hatten, sollten an einem gemeinsamen Friedenswerk arbeiten, sie würden dadurch die latente Ursache der Unruhe, des Mißtrauens und der Angst in Europa beseitigen und die Hoffnung schaffen, daß auf der friedlichen Zusammenarbeit Deutschlands und Frankreichs ein solides europäisches Gebäude errichtet werden kann. Als der Mann, der diese Worte gesprochen, der große Staatsmann und Europäer Robert Schuman, am 15. Mai des Jahres 1958 hier den ihm verliehenen Karlspreis der Stadt Aachen entgegennahm, durfte ich die Feststellung treffen, daß dieses Jahr für das Bauwerk, zu dessen Architekten Schuman gehörte, von besonderer Bedeutung sei, waren doch am 1. Januar 1958 die Römischen Verträge in Kraft getreten. Seitdem sind zwölf Jahre vergangen und am heutigen Tage, an dem es erneut darum geht, einem Franzosen den Internationalen Karlspreis der Stadt Aachen zu übergeben, trifft auch wieder die Bemerkung zu, daß das Jahr mit einem für Europa wichtigen Tage begonnen, ist doch am 1. Januar 1970 die in den Römischen Verträgen vereinbarte Übergangszeit zu Ende gegangen. Unseren französischen Gast, den es heute zu ehren gilt, möchte ich in der Reihe der heute hier anwesenden Persönlichkeiten als ersten erwähnen: mit besonderer Freude begrüße ich den bis vor wenigen Wochen in der Bundesrepublik Deutschland amtierenden französischen Botschafter Se. Exzellenz Herrn François Seydoux de Clausonne.

Als wir im vergangenen Jahr zur gleichen Feier hier versammelt waren, hat, als Sprecher der damals ausgezeichneten Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Herr Präsident Jean Rey, auf die mannigfachen Schwierigkeiten hingewiesen, mit denen die Männer, denen die Durchführung des Einigungswerkes aufgetragen ist, sich auseinandersetzen mußten. Mit Freimut erwähnte er dabei auch die schwerwiegenden politischen Meinungsverschiedenheiten der Mitgliederstaaten, die wie er sagte, die Arbeit erheblich erschwert, das Tempo der Weiterentwicklung der Gemeinschaft verlangsamt und das politische Klima in Europa belastet hätten. Wenn wir die Bilanz der letzten zwölf Monate ziehen wollen, kann es - auf diesem Hintergrund betrachtet - gar nicht hoch genug veranschlagt werden, daß dieser Tiefpunkt am Ende des Jahres 1969 offensichtlich überwunden worden ist. Mit allseitiger Befriedigung wurde das Ergebnis der Gipfelkonferenz, die im Dezember 1969 in Den Haag stattfand, aufgenommen. Die Welt gewann den Eindruck, daß es dort dem guten Willen aller Beteiligten gelungen ist, einen Ausweg aus der Stagnation zu finden, die auf das von Herrn Präsidenten Rey erwähnte schlechte politische Klima zurückzuführen war. Die in Den Haag versammelten Regierungschefs haben nicht nur ihrer Entschlossenheit Ausdruck verliehen, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft - so wie die Römischen Verträge es vorsehen - auszubauen und zu vollenden; gleichzeitig wurde auch der Beschluß gefaßt, die Verhandlungen über die Aufnahmegesuche Großbritanniens und anderer Länder aufzunehmen und schließlich wurde sogar der Gedanke der politischen Gemeinschaft wieder aufgegriffen. Zwar muß bemerkt werden, daß es sich bei diesen Beschlüssen im Wesentlichen um eine Weichenstellung handelt, wobei sehr viel weniger konkrete Beschlüsse gefaßt als Absichtserklärungen abgegeben wurden. Immerhin darf mit Befriedigung festgestellt werden, daß das Klima sich offensichtlich geändert hat. Das Schlußkommuniqué ist daher in allen Kreisen, die von der Notwendigkeit der Einigung durchdrungen sind und sich von jeher dafür eingesetzt haben, mit Erleichterung aufgenommen worden. In diesem Sinne hat sich auch das unter dem Vorsitz Jean Monnets arbeitende Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa geäußert, daran aber sogleich die Feststellung geknüpft: "Die schnelle Verwirklichung des in Den Haag angenommenen Programms ist für die Entwicklung der Europäischen Einheit unerläßlich. Es handelt sich dabei um eine wichtige Aufgabe, die es erfordert, den Impuls, den die Gipfelkonferenz der Errichtung der Europäischen Gemeinschaft gegeben hat, zu bewahren". Im Zusammenhang mit den dann folgenden, sehr sachverständigen Empfehlungen für die Durchführung des in Den Haag aufgestellten Programms bemerkt das Komitee weiter: "Die Sechs sollen unter Konsultierung Großbritanniens Maßnahmen treffen, um den in den Verträgen, die die Europäische Gemeinschaft begründet haben, verankerten Willen zur politischen Gemeinschaft Form zu geben". Mit fortschreitender Zeit spürt der denkende Mensch immer deutlicher, daß kein Volk auf dieser Welt sich unabhängig dünken kann. Dafür hat das Geschehen auf wirtschaftlichem und Währungsgebiet in der jüngsten Vergangenheit wieder einmal beste Beweise geliefert. Jede Anomalie in einem Lande hat ihre unmittelbaren Rückwirkungen weit über dessen Grenzen hinaus. Wieviel leichter wäre es gewesen, manche Klippen zu vermeiden und mit entstehenden Schwierigkeiten fertig zu werden, wenn wir in der Konsultation und der Koordinierung notwendiger Maßnahmen weiter fortgeschritten wären. Gerade diese Erfahrungen sind ohne Zweifel dafür maßgebend gewesen, daß die Teilnehmer an der Haager Gipfelkonferenz sich entschlossen zeigten, ihre Anstrengungen auf die Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion zu richten. Wir erleben es immer wieder, daß große Naturkatastrophen, wie noch vor wenigen Wochen das furchtbare Erdbeben in der Türkei, die Völker zu spontaner Hilfeleistung, ja zur Bekundung einer weltweiten Solidarität veranlassen. Voller Bewunderung nehmen wir solche Beweise menschlicher Großmut zur Kenntnis. Sollte sich da nicht auch einige Beschämung einstellen, wenn wir bedenken, daß wir zwar fähig sind uns angesichts der Gewalten der Natur solidarisch zu verhalten, daß wir aber nicht imstande sind, durch einträchtiges Zusammenwirken voraussehbare Schäden, die genau so verheerend sein können wie Naturkatastrophen, von uns abzuhalten. Immer wieder hörten wir in diesen letzten zehn Monaten Betrachtungen darüber, daß wir zwar dank den großartigen Fortschritten der Wissenschaft auf dem Mond haben landen können, daß es uns aber bis heute nicht gelungen ist, das Zusammenleben der Menschen und der Völker so zu gestalten, daß diese vor Bedrohung und Gewalt gesichert sind. Solange die Probleme mit physikalischen Erkenntnissen und mathematischen Formeln zu beherrschen sind, vermögen wir sehr, sehr viel. Sobald aber das Vorurteil der Menschen und ihr charakterliches Unvermögen ins Spiel kommen, werden wir handlungsunfähig. In einem Zeitraum von zwölf Jahren sind im Rahmen des gemeinsamen Marktes die Zölle abgebaut worden, um den ungehinderten freien Warenverkehr in diesem Großraum zu ermöglichen und ausgerechnet nach Ablauf dieser zwölf Jahre geschah es, daß durch Änderung der Währungsrelationen eine unnatürliche Umlenkung der Warenströme verursacht wurde. Nun soll, wenn die angelaufenen Verhandlungen zum Erfolg führen, in einem neuerdings zu beschließenden Stufenplan, der über zehn Jahre dauern soll, eine echte Wirtschafts- und Währungsunion verwirklicht werden; aus den zwölf Übergangsjahren würden also de facto zweiundzwanzig werden und rechnen wir von der Bekanntgabe des ersten Planes für die Montanunion im Jahre 1950 an, dann haben wir schon dreißig Jahre. Dabei ist heute schon die Rede davon, daß den möglicherweise neu hinzukommenden Ländern auch angemessene Übergangsfristen gewährt werden müßten. Soll das heißen, daß aus den dreißig noch mehr Jahre würden? Da stellt sich doch ganz von selbst erneut die Frage: haben wir denn eigentlich noch soviel Zeit? 1953 schon sagte Paul Henri Spaak: "Ne brisons pas notre élan, ne diminuons pas notre effort. Il faut que sans perdre de temps nous poursuivions notre oeuvre commune!" Übergangsfristen dienen dem Zweck, alle durch notwendige Einzelmaßnahmen Betroffenen möglichst schonend zu behandeln und sie vor nachteiligen Wirkungen zu bewahren. Ist das tatsächlich zu erreichen? Wäre es im Interesse des Ganzen gesehen nicht viel heilsamer, wenn man alle zur Erzielung einer Wirtschaftsunion erforderlichen Vereinheitlichungen unter tunlichster Abkürzung von Übergangsfristen, möglichst unter gänzlichem Verzicht auf solche, in Kraft setzen würde? Jede stufenweise Verwirklichung schafft wieder neue und vorübergehende Ungereimtheiten, wie wir sie schon jetzt feststellen können. Zollfreiheit bleibt solange eine Illusion wie sie nicht ergänzt wird durch Währungsunion, durch Vereinheitlichung der Steuern, der Sozial- und Wettbewerbspolitik, durch gemeinsame Verkehrs- und Handelspolitik. Hat doch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften noch jüngst darauf hingewiesen, daß der Gemeinsame Markt für manche Produkte noch gar nicht existiert. Sie spricht in diesem Zusammenhang von einem beinahe unentwirrbarem Netz von technischen Hindernissen, die sich aus den verschiedensten fortbestehenden nationalen Rechtsvorschriften zusammensetzen. Jede abgestufte Regelung führt dazu, daß der jeweils Betroffene neue Ausweichmöglichkeiten sucht und auch findet, solange er nicht gezwungen ist, sich auf ein wohldurchdachtes Gesamtsystem einzurichten. Ich fürchte, der angestrebte Perfektionismus wird zwar die Spezialisten und die Wissenschaftler auf lange Zeit hinaus stark strapazieren, kann aber dem Gesamtanliegen, das es zu fördern gilt, nur zum Nachteil gereichen, denn dieses ist primär politisch. Bei aller Bedeutung wirtschaftlicher Zusammenhänge müssen diese den politischen Notwendigkeiten untergeordnet werden. Oberstes Ziel ist und bleibt das politisch geeinte, freie Europa, so wie Sir Winston Churchill es kurz nach Kriegsende verkündet: Die Vereinigten Staaten von Europa. Es kann keine gemeinsame Wirtschaftspolitik geben ohne gemeinsame Außenpolitik und gemeinsame Verteidigungspolitik. Wenn wir uns heute zurückversetzen in die Anfänge, dann wissen wir doch alle, daß am Anfang die Erkenntnis gestanden hat, daß Gefahren, wie zwei Weltkriege sie für Europa gebracht haben, für alle Zukunft gebannt werden müssen. Daher Jean Monnets Gedanke, an den Beginn die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl zu stellen und dadurch nationale Alleingänge auf dem Gebiet der Rüstung in Europa unmöglich zu machen. Der Weg sollte von der gemeinsamen wirtschaftlichen Ordnung zur gemeinsamen Politik führen. Man hat damals vielleicht klarer als heute erkannt, daß der Verzicht auf gemeinsames politisches Handeln dazu angetan ist, nationalistischen Anwandlungen Tür und Tor zu öffnen. In seiner Schilderung europäischer Entwicklung nach der Ausschaltung napoleonischer Hegemoniebestrebungen gibt Denis de Rougement dem Abschnitt "Die Ära der Nationen" den Untertitel "Von der Harmonie der befreiten Völker zur Anarchie der Nationalstaaten"; man könnte die Lehren des Zeitraumes von 1848 - 1945 nicht treffender darstellen. Und doch sind es auch heute noch Erinnerungen an die Glanzzeiten nationalstaatlicher Entwicklung, die die Ressentiments nähren, die hier und da der notwendigen Verzichtsleistung auf Eigenständigkeit zugunsten europäischer Gemeinsamkeit hindernd im Wege stehen. Kurz nach Ende des Krieges, als nach allem Geschehenen das Vorherrschen solcher Regungen noch sehr verständlich hätte erscheinen können, hat Robert Schuman aus besserer Einsicht den Mut aufgebracht, mit seinen Vorschlägen einer gemeinsamen Zukunft den Weg zu bereiten. Gerade er, der Lothringer, hat empfunden, daß Ressentiments uns gar nicht weiterbringen, sondern nur behindern können. Daher richtete Heinrich v. Brentano am 15. Mai 1958 von dieser gleichen Stelle aus sehr zu Recht an ihn die Worte: "Daß Sie in Deutschland eine populäre, ja eine verehrte Figur sind, geht auf jene historische Stunde des 9. Mai 1950 zurück da die von Ihnen geführte französische Regierung der Welt verkündete, daß sie beschlossen habe, den Versuch zu unternehmen, die Beziehungen der europäischen Völker untereinander auf eine ganz neue Basis zu stellen, indem jedes unter ihnen zu Gunsten eines gemeinsamen Ganzen einen Teil seiner Souveränität aufgeben solle. Sie, Ihre Regierung und Ihr Land, haben damals ein neues Kapitel in dem Buch der Geschichte aufgeschlagen". Und als dann Robert Schuman an dieses Rednerpult trat, sagte er: "Ich habe von Anfang an, vom 9. Mai 1950 schon, und immer wieder, die Überzeugung gehabt, daß in erster Linie in unseren europäischen Bestrebungen das Zentralproblem Deutschland-Frankreich gestanden hat, und daß es keine Lösung für Europa geben konnte, ohne daß dieses gelöst war". Unser Jahr 1970 ruft in uns die Erinnerung wach an das Jahr 1870, das die Serie der drei letzten kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und Deutschland eröffnete. Wieviel Leid ist hierdurch über Franzosen und Deutsche gekommen, welch schmerzliche Erfahrungen grausamen Geschehens haben sich in den Menschen festgesetzt und ihren Blick für wirkliche Abhilfe getrübt! Und doch hat es nach der größten Katastrophe, dem Zweiten Weltkrieg, schon sehr bald einsichtsvolle Männer gegeben, die es ablehnten, sich nun auch weiterhin von Gefühlsaufwallungen leiten zu lassen, die aus der Erfahrung gelernt hatten, daß vom Sieger diktierte Friedensregelungen meist den Keim neuen Unfriedens in sich tragen. So gingen sie einen gänzlich neuen Weg. Siegern und Besiegten wurden Aufgaben gestellt, die nur gemeinsam bewältigt werden konnten. Die Sicherung und Erhaltung des Friedens in der Welt stellte den obersten Leitgedanken dar. Diesem höchsten Ideal sollte der Zusammenschluß Europas dienen. Direktor der Europa-Abteilung am Quai d'Orsay war damals kein anderer als François Seydoux de Clausonne. Schon zehn Jahre früher, im Zeitpunkt des Kriegsausbruchs, hatte er im gleichen Hause das Amt des Leiters der Deutschland-Abteilung versehen. Dies war ihm im Jahre 1936 anvertraut worden aufgrund der Erfahrungen, die er in den Jahren seit 1933 als Sekretär der französischen Botschaft in Berlin hatte sammeln können, ein Amt, das schon sein Vater innegehabt, weshalb Berlin auch sein Geburtsort ist. Schumans Gedankenführung hat seinen jungen Mitarbeiter Seydoux sicherlich nicht überrascht, hatte dieser doch am Beginn seiner Karriere als Attaché der französischen Botschaft beim Völkerbund dort enge Berührung zu Aristide Briand, der in seinem Zusammenwirken mit Gustav Stresemann sich schon in dieser nun schon mehr als vierzig Jahre zurückliegenden Zeit, europäischen Gedankengängen aufgeschlossen zeigte. Über diese historische Phase weiß unser erster Preisträger, Graf Richard Coudenhove-Kalergi, manches zu berichten. Seydoux' in den Vorkriegsjahren erworbenes Wissen um Deutschland und die Deutschen war noch sehr bereichert worden, als er in der Nachkriegszeit sich in Berlin als politischer Berater des französischen Kommandanten betätigte und die Berlin-Blockade miterlebte. Fügt man dem nun noch hinzu, daß unser Preisträger von 1958 - 1963 und von 1967 - 1970 sein Land als Botschafter in Bonn vertreten hat, dann kann man schon allein aus diesen Daten den Schluß ziehen, daß es wohl kaum einen Franzosen in hervorragendem politischem Amt gibt, der aus eigenem Miterleben eine so gründliche Kenntnis von der tiefen Tragik und den erfreulichen Lichtseiten des französisch-deutschen Verhältnisses in den vergangenen Jahrzehnten besitzt. Wohl wenige wissen so wie er darum, in welchem Maße das Gelingen des europäischen Einigungswerkes von dem guten Einvernehmen unserer beiden Länder abhängt und wie stark dieses wieder eingebettet ist in die gemeinsame Entschlossenheit, das Vereinigte Europa als Garanten des Friedens und des Fortschritts zu begründen. Auf dieser Linie liegt auch der am 22. Januar 1963 unterzeichnete Freundschaftsvertrag zwischen Frankreich und Deutschland, dessen Ziel es ist, das Zusammenspiel der beiden Länder auf eine möglichst breite Basis zu stellen. Seine zukunftsträchtige Wirkung ist dabei in besonderem Maße in dem breit angelegten Jugendaustausch zu sehen. Unter Exzellenz Seydoux hat sich die französische Botschaft in Bonn als Garant dafür einen Namen gemacht, daß die Bestimmungen des Abkommens nicht auf dem Papier stehen bleiben, sondern im Sinne einer optimalen Ausschöpfung der darin beruhenden völkerverbindenden Möglichkeiten praktiziert werden. Das einmalige Faktum, daß ein Botschafter zum zweiten Mal mit der gleichen Mission beauftragt wurde, liefert einen beredten Beweis für die Beurteilung, die seine Arbeit bei der eigenen Regierung gefunden hat. Ich glaube auch, daß die Historiker, wenn ihnen einmal die Archive des Quai d'Orsay aus diesen Jahren zugänglich gemacht werden, ihre helle Freude an den Berichten des Bonner Botschafters aus diesen Jahren haben werden, denn ihr Autor bürgt für deren geistigen Gehalt und es gehört nicht viel Phantasie zu der Vorstellung, daß sie mit ebenso treffenden wie witzigen Aperçus reichlich bestückt sind. Der Botschafter François Seydoux wird aber nicht nur von seiner eigenen Regierung anerkannt; auch in seinem Gastland erfreut er sich weit und breit größter Hochschätzung; das ist in diesen letzten Wochen seiner Verabschiedung in beredtester Form zum Ausdruck gekommen. Daß dem so ist, kann keinen erstaunen, der weiß, mit welch unwahrscheinlicher Hingabe dieser Mann sich seiner Aufgabe gewidmet, wie er keine Mühe gescheut, um überall in deutschen Landen Freundschaften zu knüpfen, um Verständnis zu werben, und, im besten Sinne des Wortes, eine gute Politik zu machen. Seine wahrhaft europäische Gesinnung, gepaart mit dem ihm eigenen sprühenden Temperament, der romanischen Beweglichkeit seines Geistes und seinem unwiderstehlichen Charme haben ihm überall reiche Sympathien eingebracht. Zu den zahlreichen Freunden des Botschafters Seydoux in Deutschland zählt sich auch die Stadt Aachen. Wir sind stolz darauf, daß seine Unterschrift öfter als die irgendeines anderen Diplomaten unser Goldenes Buch ziert. Der Geist und die Tradition dieser Stadt, die sich in so vielem mit seinem Denken berühren, haben offensichtlich eine große Anziehungskraft auf ihn ausgeübt. Wenn wir vor drei Jahren hier in diesem Saal, in dem in vergangenen Zeiten die deutschen Könige ihr Krönungsmahl hielten, in seiner Gegenwart die Verschwisterung Aachens mit Reims, der Stadt der Krönung der französischen Könige, besiegeln konnten, dann wissen wir, wie sehr dieses Ereignis im Sinne seines Wirkens lag. Es gab viele Entsprechungen zwischen der von ihm, dem Südfranzosen, ausgehenden menschlichen Wärme, seinem heiteren Sinn und der Wesensart der Aachener. Wir haben ihm für manche Hilfe zu danken, die er uns bereitwillig gewährte.

Bewunderung, Dank und Anerkennung gebührt Ihnen, Exzellenz Seydoux, ob Ihres völkerverbindenden Wirkens, das Sie vorbehaltlos in den Dienst der Einigung Europas gestellt haben. Diese Ihre Lebensarbeit hat Sie eingereiht in den Kreis der Männer, die den Internationalen Karlspreis der Stadt Aachen tragen. So hat dann das Direktorium einstimmig beschlossen, Ihnen diesen Preis zu verleihen, den ich Ihnen nunmehr überreichen darf.