Rede von Robert Schuman

Rede von Robert Schuman

Es ist für einen Parlamentarier, speziell für einen französischen, schwer, auf so viele Komplimente zu antworten. Es fehlt uns darin die Übung. Aber es ist nun einmal vorgesehen, daß ich Stellung nehme zu einigen Gesichtspunkten, die hier vorgebracht sind. Da ist zuerst der Ausdruck eines immensen Dankes an den hohen Magistrat, an die Bürgerschaft von Aachen, an all die Persönlichkeiten, sei es nationaler oder übernationaler Herkunft, die hier vertreten sind und die mir die Ehre gegeben haben, hierher zu kommen. Ich stehe unter dem Eindruck dieses Saales, der ein Symbol des wiedererstandenen Deutschlands, eines friedfertigen, eines freien Deutschlands, aber auch eines gespaltenen Deutschlands, und Sie werden einem Europäer, einem französischen Europäer wie mir zugestehen, daß auch wir mit den deutschen Brüdern empfinden, wie sehr dieser Zustand unerträglich ist und wie sehr wir hoffen, daß auf friedlichem Wege die Einheit Deutschlands wiederhergestellt wird.

Dann kommt hinzu, daß ich hier von Anfang an, vom 9. Mai 1950, schon und immer wieder in der Folge die Überzeugung habe, daß in allererster Linie in unseren europäischen Bestrebungen das Zentralproblem Deutschland-Frankreich gestanden hat, und daß es keine Lösung für Europa geben konnte, solange dieses Problem nicht gelöst war. Es ist gelöst, und eine Sitzung wie die heutige ist der beste Beweis dafür, daß es in den Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland keine Streitobjekte gibt und daß es für uns die größte und tiefste Befriedigung ist, die wir in einer Zeremonie wie der heutigen empfinden. Natürlich, Probleme gibt es immer, sie wird es immer geben, aber wir wollen sie gemeinschaftlich lösen dadurch, daß jeder das Seine beiträgt. Es gibt auch Probleme, meine Damen und Herren, die jeder nur allein lösen kann in eigener Verantwortung. Wir Franzosen wissen, daß unsere inneren Angelegenheiten, und das möchte ich an einem Tage wie heute aussprechen, die nicht auf gemeinsame Tätigkeiten zurückzuführen sind, daß wir diese Probleme alleine lösen. Und wenn wir heute mit einem gewissen Gefühl der Besorgnis an diese Probleme denken, tun wir es in der Zuversicht, daß uns im entscheidenden Moment durch eine Steigerung der Disziplin, der Opferbereitschaft, einmal mehr es in Frankreich ermöglicht wird, all das zu überwinden. Und wir schulden das nicht nur unserem Lande, sondern auch unserer Gemeinschaft, denn auch die Gemeinschaft wäre in Frage gestellt, wenn wir unsere inneren Probleme nicht lösen würden. Ich bin hier, um als Garant zu sprechen dafür, daß Frankreich dies erreichen wird. Nach der Bildung einer neuen Regierung, einer jungen Regierung - ich möchte sagen, einer europäischen Regierung - wird es ihr gelingen, hier Neues und Endgültiges zu schaffen.
Herr Professor Brugmans, mein Freund, hat eben von den Perspektiven der europäischen Einheit gesprochen. Ich komme aus Straßburg, wo wir eine kurze Diskussion hatten. Sie wissen, daß in einem Parlament, und auch in einem europäischen Parlament, die Kürze die größte Schwierigkeit in dem Gelingen eines Problems ist. Die Parlamente haben das Bedürfnis, sich möglichst auszubreiten. Wir haben nur eine kurze Zeit zur Verfügung gehabt. Es mußte eine große Anstrengung an Disziplin geübt werden, und die Herren Präsidenten Finet und Hallstein sind Zeuge dafür, daß das nicht auf den ersten Hieb gelungen ist. Wir konnten auseinandergehen in der Versicherung, daß wir einen wichtigen Schritt weitergekommen sind, und daß wir für den Monat Juni die Aussicht haben, etwas Endgültiges schaffen zu können. Das, meine Damen und Herren, will ich nur zu all dem, was gesagt wurde, hinzufügen. Sie werden verstehen, daß ich mich nunmehr speziell an meine Landsleute richte, denn auch sie brauchen einen Kommentar zu den Ereignissen des heutigen Tages.
Ich bin froh, daß dies eine deutsch-französische Veranstaltung geworden ist, und ich bin dankbar dafür, daß all die Redner, die hier gesprochen haben, ohne Verwischung der Unterschiede, die nun einmal bestehen und die wir realistisch in Rechnung stellen müssen, daß die betont haben, daß auch Frankreich und nicht nur die Politiker, sondern auch die Bevölkerung Verständnis aufbringt für die europäischen Zusammenhänge.

Wir sind hier in einem Saal, in dem 32 Könige gekrönt worden sind. Das ist eine sehr lange Geschichte und es ist eine europäische Geschichte. Dieser Saal ist zerstört gewesen, und ich darf Herrn Oberbürgermeister beglückwünschen, dass dieser Saal wieder aufgebaut worden ist, ein Zeugnis dafür, was hier an herrlichem Geist in Aachen vorhanden gewesen ist.
Dieses Reich, dass auch den französischen Königen bekannt gewesen ist und Kaiserrechte ausgeübt hat, zeugt davon, dass wir ihm hohe Ehre schuldig sind. Es war Karl der Große, der der Gründer dieses Reiches gewesen ist und bis zu unserer Zeit das Symbol für die europäische Einigung geblieben ist. Trotz des Wechsels in den Dynastien und auch in den zivilisatorischen Erscheinungen ist das Reich nicht untergegangen, obwohl diese Phänomene auch der Sterblichkeit unterliegen. Wir hatten die schwierige Zeit des Nationalismus, wir hatten dann die Epoche der Souveränität. Es war eine Epoche des Nationalismus, der Souveränität, die anderen Zeiten entgegenstanden. Es gab einen Kampf, der sich durch feindlichen Partikularismus kennzeichnete. Und wir haben diese Krankheiten überwunden. Es war die Krankheit des 19. Jahrhunderts.
Nun aber – und das ist die Errungenschaft unserer Generation – suchen wir von neuem danach, den Weg zu finden zu einer wirklichen Einheit. Wir sind auf dem Rückweg zu dieser Einigkeit. Wie ich eben bereits sagte, komme ich von Straßburg. Um nach Aachen zu reisen, bin ich über Metz und über Luxemburg gefahren. Ich habe also ein ganzes Netz von Städten berührt, in denen Initiative beheimatet ist, Städte, die zusammenkommen müssen, um das Band zu werden, das uns einigt, und zu dem Weg zu werden, der uns zusammenführt. Natürlich müssen Unterschiede gewahrt werden. Unterschiede, die aber nicht Separationen, Trennungen sein sollen. Wir müssen uns der Realitäten einer historischen Entwicklung bewusst sein. Wir wollen aber nicht mehr den Antagonismus, der uns ja immer zur Sterilität in unseren Aktionen verdammt hat. Jeder muss mit dem, was er an Besonderem hat, dazu beitragen, dass neue und beständige Elemente geschaffen werden, die dazu beitragen, die Einheit zu schaffen, die wir wünschen, und die Einheit auch in der Wirklichkeit anzuwenden.

Meine Damen und Herren, das ist heute also ein Tag, der von großem Vertrauen geprägt ist, ein Tag voller Vertrauen inmitten einer Zeit der Angst, inmitten einer Zeit, die so viele Probleme für uns alle hat. Probleme für Sie, Probleme für Sie Deutsche, die vor allen Dingen sich mit den Fragen der Einheit befassen, und für uns Franzosen Probleme mit unseren inneren Streitigkeiten. Wir haben Probleme. Aber wir sollten diese Probleme zusammenlegen, um zu sehen, welche Lösungen die geeigneten sind. 

Wie soll ich Ihnen meinen Dank zum Ausdruck bringen, all denen meinen Dank zum Ausdruck bringen, die daran gedacht haben, meine Person hier zu feiern. Ich bin ja nicht allein, denn alle Preisträger bis auf eine Ausnahme sind ja heute noch da, außer de Gasperi, der in der Zwischenzeit verstorben ist und den ich auch als großen Verkünder der europäischen Einheitsidee bezeichnen möchte. Die aber, die unter unseren Preisträgern noch leben – ich will sie nicht mehr hier erwähnen, das ist eben schon geschehen – ich glaube aber sagen zu dürfen, dass wir alle, wir Preisträger hier, als Garanten dieses neuen Europas hier sind. Herr Professor Brugmans ist gewissenmaßen mein Pate. Er hat dafür garantiert, dass die Rechte auf die Würde, die mir heute verliehen wurde, auch gegeben waren.

Meine Damen und Herren, und vor allen Dingen meine Herren vom Direktorium, ich darf Sie versichern, dass ich der erste bin, der fühlt, wie groß die Ehre ist, die Sie mir zuteilwerden lassen. Seien Sie aber auch versichert, dass ich mit einem hohen Grad von Verantwortungsbewusstsein diese Würde tragen werde, dass ich vielleicht, wenn das möglich ist, noch zu einem überzeugteren und festeren Europäer werden könnte, wäre ich nicht doch einer der ersten Europäer schon gewesen. In Gesellschaft meines Freundes, des Grafen Coudenhove-Kalergi – ich glaube, wir beide sollten, jeder auf seinem Posten zu Verwirklichern der europäischen Idee werden.