Rede von Franz Etzel, Bundesminister der Finanzen

Rede von Franz Etzel, Bundesminister der Finanzen

Hochverehrte Festversammlung!
Hochverehrter, lieber Herr Bech!

Die Bundesregierung, in deren Namen ich spreche, hält es für eine glückliche Eingebung, daß in diesem Jahre unter den zahlreichen hervorragenden Anwärtern auf die Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachendie ehrende Wahl auf Sie, verehrter Herr Bech, gefallen ist.

Es gibt nur wenige Politiker und Staatsmänner in Europa, die sich wie Sie für die Idee dieses Preises – nämlich für die Schaffung einer dauerhaften Friedensordnung durch die Einigung Europas – verdient gemacht haben.

Die Völker Europas mußten eine sehr leidvolle Erfahrung durchstehen, ehe sie begriffen, daß nicht der zu preisen ist, der ihre Heere zum Siege führt, sondern der, dessen Wirken in hervorragendem Maße diesem Gedanken des Karlspreises dient.

In allen Jahren Ihres langen Wirkens als Politiker, Parlamentarier und Staatsmann ist Ihnen das europäische Einigungswerk Herzensangelegenheit gewesen. Wir Deutschen schulden Ihnen dafür besonderen Dank. Deshalb möchte ich namens der Bundesregierung diesen, den europäischen Teil Ihres Lebenswerkes in meiner Grußadresse in den Vordergrund stellen.

Getreu Ihrer Überzeugung, mit der Sie schon in den zwanziger Jahren an der Seite Briands für die Aussöhnung Europas eingetreten sind, und trotz der großen Enttäuschung, die Ihnen der zweite Weltkrieg in dieser Hinsicht brachte, haben Sie sich nach 1945 nicht damit begnügt, die Schäden und Folgen dieses unseligen Krieges im eigenen Lande zu beseitigen.

Sie haben vielmehr Ihre Erkenntnisse, Erfahrungen und Ihr hohes Ansehen sogleich wieder für die Einigung Europas und damit für die Schaffung einer dauernden Friedensordnung eingesetzt.

Darf ich hier nur mit einem Satz – aber mit einem Herzen voll Dankbarkeit – an den Beitrag erinnern, den Sie und Ihre Landsleute dazu geleistet haben, daß die durch unsere Schuld getrübten Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern sich wieder normalisierten.

Im Mittelpunkt Ihres europäischen Denkens und Handelns hat immer die Erkenntnis von der Notwendigkeit einer Aussöhnung der beiden großen Länder im Herzen Europas – Frankreich und Deutschlands – gestanden. Entsprechend der kulturellen Tradition Luxemburgs, das im Schnittpunkt der Geistesströmungen dieser beiden Länder liegt, haben Sie immer wieder die Rolle des weisen, aber auch tatkräftigen Mittlers zwischen Frankreich und Deutschland übernommen.

Als Robert Schuman am 9. Mai 1950 seine historische Erklärung über die Errichtung der Montan-Union abgab, waren Sie einer der ersten europäischen Staatsmänner, der diesem Plan uneingeschränkt zustimmte und sich zur Zusammenarbeit über die nationalen Grenzen hinweg bekannte. Diese Bekenntnis war damals eine Tat politischen Wagemuts und staatsmännischen Weitblicks. Das wird heute zu leicht vergessen! Zusammen mit Robert Schuman, Alcide de Gasperi, Konrad Adenauer und Ihren Benelux-Kollegen haben Sie, lieber Herr Bech, mit großem Gewicht an der Ausarbeitung des Vertrages über die Montan-Union teilgenommen.

Sie waren stets auf Ausgleich widerstreitender Interessen bedacht. Ihre Meinung wurde gehört, weil aus Ihnen eine durch Erfahrung gewonnene Weisheit sprach. Gerade auf diese Tugend kommt es in der europäischen Politik an. Man muß die Sehnsucht unserer Völker verstehen können, man darf sie nicht in allzu abstrakte oder gar zu totale Konstruktionen stürzen, wenn man das Ziel der europäischen Einigung erreichen will.

Sie, lieber Herr Bech, haben den Glauben an die Vorzüge eines fortgesetzten Strebens, Sie haben die Erkenntnis, daß es gilt, über viele Jahre hinweg Stein für Stein am europäischen Einigungswerk aufzubauen, und Sie haben stets dieser Erkenntnis entsprechend gehandelt.
Als die Zeit dafür gekommen war, setzten Sie sich bei den Beratungen von Messina mit der gleichen Intensität wie bei der Gründung der Montan-Union für die Fortsetzung der überstaatlichen Zusammenarbeit ein.
Als Ergebnis dieser Arbeit sehen wir heute die Europäische Atomgemeinschaft und vor allem die umfassende Europäische Wirtschaftsgemeinschaft wachsen.
Sie gehören zu den großen Baumeistern dieser drei Gemeinschaften, die aus unserem europäischen Alltag nicht mehr fort zu denken sind.
Mit diesen Gemeinschaften entstand – vielleicht erstmalig – eine Solidarität der Tat über die nationalen Grenzen unserer Völker hinaus.
Ihr unermüdlicher Einsatz für das Entstehen unserer Gemeinschaften hat auch darin sinnfälligen Ausdruck gefunden, daß dank Ihrer Initiative die erste europäische Gemeinschaft im Jahre 1952 ihre Tätigkeit in Luxemburg, der Hauptstadt Ihres Landes, aufnehmen konnte. Als damaliger Vizepräsident der Hohen Behörde habe ich selbst das Ausmaß der Gastfreundschaft kennenlernen können, welches das luxemburgische Volk, seine Herrscherin und die Regierung, der Sie angehört haben, den Institutionen der Montan-Union stets entgegengebracht haben. Es ist nicht zuletzt dieser Gastfreundschaft und der Atmosphäre Ihrer Hauptstadt zuzuschreiben, daß sich der Geist der fruchtbaren europäischen Zusammenarbeit auch im Alltag ausbreiten konnte.
Erst diese tagtäglich bewährte Zusammenarbeit gab uns ja schließlich den Mut zur Ausdehnung unserer Integrationsbestrebungen auf alle Bereiche des Wirtschaftslebens. Der Anteil Ihres Landes am Aufbau des vereinten Europas wird in der Geschichte der europäischen Einigung unvergessen bleiben.
Die Erfolge in der Einigung Europas, zu denen sie mit Ihrem politischen Wirken so wesentlich beigetragen haben, dürfen uns nicht ruhen lassen. Ich weiß, daß Sie – ebenso wie ich – den heißen Wunsch haben, eines Tages auch zu einer politischen Gemeinschaft in Europa zu gelangen, zu einem europäischen Bundesstaat, der aber seine Stärke und Lebenskraft auf die nationalen Eigenarten der europäischen Völker gründen wird.

Verehrte Zuhörer,
ich habe den laureatus des heutigen Tages nicht ohne Absicht nur mit seinem Namen angeredet, ohne seine hohen Ämter, Ränge und Titel zu erwähnen: einerseits, um hiermit meine große Wertschätzung für den Menschen und – ich darf wohl sagen – väterlichen Freund Josef Bech zum Ausdruck zu bringen; andererseits, um deutlich zu machen, daß hier ein Mensch sein Amt und seine Verantwortung trägt und nicht umgekehrt er vom Amt getragen wird.
Denn seine großen Leistungen für die europäische Einigung beruhen allein auf der Stärke seiner Persönlichkeit. Weisheit, Objektivität, Gerechtigkeitsgefühl, Sinn für Maß, Lebensfreude – Sie sind ja nicht umsonst lange Jahre Weinbauminister gewesen – und ein außerordentliches Kontaktvermögen sind die Triebfedern dieser Persönlichkeit.
Solche Persönlichkeiten sind selten in großen Ländern; wenn man sie aber in kleinen Ländern trifft, sind sie das Geschenk eines gütigen Geschicks.
Aus der Persönlichkeit Josef Bechs erklärt sich auch sein innenpolitisches Denken. Es ist – das weiß ich durch meinen langen Aufenthalt in Luxemburg – christlich und liberal. Christlich, weil Josef Bech in seiner politischen Tätigkeit stets den Bestand und die Werte unserer christlichen Kultur verteidigt hat, und weil er in den Regierungen, die er leitete oder denen er angehört, einen sozialen Kurs vertreten hat, der seine Kraft aus dem Christentum schöpft.
Liberal, weil er als Mensch allen Ideen geöffnet war und sich immer geweigert hat, sich von der Parteien Streit und Hader mitreißen zu lassen.

Lieber Herr Bech, sie sind für uns das Vorbild eines großen europäischen Staatsmannes. Namens der Bundesregierung danke ich Ihnen für Ihre unermüdliche Hingabe an das europäische Werk und gratuliere Ihnen recht herzlich zur Verleihung des Karlspreises.